RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 28.02.08

GENUSS OHNE REUE

Grüner wird’s nicht

Von Claudia Voigt

Sie meinen es ernst und sehen

dabei richtig gut aus. Eine neue Ökobewegung vereint Genuss und Gewissen.

Zuerst war das Ei. Das Bio-Ei.

Auf seiner Schale prangten irgendwann aufgestempelte Zahlen und Buchstaben,

aus denen jeder normale Supermarktkunde ablesen konnte, auf welchem Hof

das Ei gelegt wurde und an welchem Tag das war.

Noch in diesem Jahr will

die englische Strickwarenfirma Smedley ihren Pullovern einen Hinweis beilegen,

durch den sich im Internet recherchieren lässt, von welcher Schafherde

in Neuseeland die Wolle für den neuen Pulli stammt. Mit GoogleEarth

und ein bisschen Phantasie kann man seinem Schaf dann sogar “hallo” und

“danke” sagen.

Eier und Pullover, Kaffee,

Karotten, Jeans – viele Produkte des täglichen Lebens geben mittlerweile

ihre Herkunft preis. Denn nicht wenige Konsumenten legen Wert darauf, zu

wissen, woher die Dinge kommen, dass ihr Gemüse nicht mit Pestiziden

gespritzt wurde, dass ihre Kleider nicht von Kindern in der Dritten Welt

genäht wurden. “Es findet eine Moralisierung der Märkte statt”,

sagt der Kulturwissenschaftler Nico Stehr.

Die Konsumenten verändern

sich. Sie denken nicht mehr nur ökonomisch und daran, ihre Erträge

zu optimieren, erklärt Stehr, sondern sie verlangen nach Gütern

wie Fairness, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Sie verlangen nach moralischen

Werten. Und darauf reagiert der Markt.

Nur: Warum ist das so? Warum

interessieren sich plötzlich immer mehr Leute für ihren persönlichen

CO2-Verbrauch bei einem Langstreckenflug und für das Schaf, das den

eigenen Pulli zuerst trug?

30 Jahre nach der alten Ökobewegung

mit ihrem etwas ranzigen, selbstgestrickten Image hat das Thema Ökologie

auf zwei Wegen ins Zentrum der Gesellschaft zurückgefunden.

Zum einen durch den Klimawandel,

der durch Al Gores Film “Eine unbequeme Wahrheit” endgültig in den

Köpfen angekommen ist. Vernünftig denkende Menschen sind sich

darüber einig, dass der CO2-Ausstoß weltweit begrenzt werden

muss und man sein Gewissen nicht länger damit beruhigen kann, dass

auch rülpsende und furzende Kühe zum Treibhauseffekt beitragen;

auch die Aussicht auf ein karibisches Deutschland freut nur Zyniker.

Der andere Weg führte

über den Konsum. Das Obst und Gemüse der Biobauern schmeckt einfach

besser, das von ihnen bezogene Fleisch schrumpft nicht in der Pfanne. Wer

es sich leisten kann, zahlt ein bisschen mehr, bekommt höhere Qualität

und ein gutes Gewissen dazu. Dieses gute Gefühl, Genuss und Gewissen

beim Konsumieren vereinbaren zu können, wollten die Verbraucher nicht

nur beim Essen erleben, sondern in möglichst vielen Lebensbereichen:

beim Einkauf ihrer Kleidung und beim Autofahren, beim Einrichten ihrer

Wohnung und auch bei der Auswahl der Kosmetikprodukte.

Das Phänomen der Lohas

war geboren. Die Abkürzung steht für “lifestyle of health and

sustainability”, für einen gesunden, nachhaltigen Lebensstil. Dabei

wurde vor allem erst mal an sich selbst gedacht. Öko als Egotrip:

Warum soll ich mir nicht auch im Winter die teureren Biotomaten gönnen,

wenn ich es mir leisten kann? Warum soll ich nicht einen Designertisch

aus wiederverwerteten Dachbalken kaufen? Warum kein Jackett aus giftfreier

Baumwolle, wenn es cool und scharf geschnitten ist wie die Mode der dänischen

Firma Noir? Wer so denkt und lebt, verdient meist mehr als der Durchschnitt

und ist die Traumzielgruppe aller Produzenten.

Trendforscher und Marketingexperten

schlugen Purzelbäume vor Begeisterung, in den USA wurde das Phänomen

im Jahr 2000 in dem Buch “Cultural Creatives” beschrieben, in Deutschland

machten es Eike Wenzel und ein Team von Matthias Horx’ Zukunftsinstitut

mit ihrer Studie “Zielgruppe Lohas” 2007 zum Megatrend.

Öko als Konsumbeschleuniger.

Für einen Pappbecher fair gehandelten Kaffees wurde mit gutem Gewissen

ein Euro mehr gezahlt, für ein T-Shirt der US-Firma American Apparel,

die nicht in Billiglohnländern fertigen lässt, auch gern mal

20 Euro mehr. Unbedingter Anspruch dabei: Genuss und Stil.

Eine Art Ablasshandel lag

in der Luft, ich gebe dir mein Geld, du gibst mir ein gutes Gewissen. Doch

“die Konsumenten sind intelligenter geworden”, sagt Stehr, “sie lassen

sich nicht mehr so leicht hinters Licht führen, deshalb darf man den

Ökotrend nicht bagatellisieren”. Zu dem Wunsch nach Genuss und Stil

kommen Fragen hinzu. Und die geben dem Marketingphänomen Lohas erst

das Fundament für eine Haltung.

Al Gores Film über die

Klimakatastrophe führte für viele Zuschauer zu der Schlüsselfrage:

Will ich wirklich so weitermachen wie bisher?

Auch Peter Unfried stellte

sich diese Frage. Der Journalist und Autor sitzt in einem Berliner Café,

trinkt einen ganz normalen Kaffee, trägt einen feinen braunen Pullover,

lächelt schief und behauptet von sich, ein “neuer Öko” zu sein.

In der Einleitung zu seinem Buch “Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank

und ich” beschreibt er sich als bewusst gleichgültigen Hedonisten

– bis er aus einer Nachmittagsvorstellung jenes Films auf die Straße

trat und wusste: Er muss etwas ändern.

“Das ist erst der Anfang”

In zwölf Kapiteln erzählt

Unfried dann sehr unterhaltsam, wie auch sein öko-überzeugter

Bruder, der schon seit Jahren in kein Flugzeug mehr steigt und auf Dienstreise

nach Finnland mit der Fähre fährt, ihn lange nicht erschüttern

konnte in seinem sorglosen Konsum. Doch die Bilder von Al Gores Film im

Kopf, die mahnenden Worte seines Bruders im Ohr waren eines Tages stärker

als sein ignoranter egoistischer Wunsch, einen spritfressenden Van für

seine Familie zu kaufen. Am Ende des ersten Kapitels fährt er mit

seiner Frau in die Nähe von Heilbronn, um bei den Audi-Werken einen

A2 1.2 TDI abzuholen, einen Drei-Liter-Wagen. Die Händlerin gibt sich

wenig Mühe zu vertuschen, wie wenig sie diese Wahl verstehen kann,

aber bei Unfried stellt sich mit dem Kauf des Autos ein Gefühl großer

Zufriedenheit ein, das er im Laufe seines Buchs noch häufiger beschwört.

Die Wahl des Stromanbieters

und die Frage der eigenen Mobilität (Will ich ein Auto? Wenn ja: welches?)

sind die Einstiegsfragen für einen Neu-Öko. Für Unfried

markieren diese Energiefragen die Grenze zwischen dem Lohas-Phänomen

und der echten neuen Umweltbewegung.

“Mit dem Satz: ‘Ich wollte

auch schon immer mal meinen Stromanbieter wechseln’, kommt man im Jahr

2008 nicht mehr durch”, sagt der Autor, “man sollte es einfach machen.”

Er kann pointiert davon erzählen,

dass man dafür durchaus die eigene Naivität wieder zum Leben

erwecken und zynische Gedanken beiseite schieben muss, Gedanken wie: Was

macht es bitte für einen Unterschied, ob ich zu Hause eine Energiesparbirne

verwende oder eine normale? Sicher, eine Glühbirne macht keinen Unterschied,

Zigtausende schon.

Der Kulturwissenschaftler

Nico Stehr betont genau diese Macht der neuen Moralisten. Es sei ein gut

vernetzter, globaler Trend, der Druck auf die Industrie ausüben kann

– durch bewussten Konsum genauso wie durch Abstinenz. Dafür nennt

er nach der angekündigten Werksschließung in Bochum das Beispiel

Nokia. “Ich halte es für eine gute Idee, von denen keine Handys mehr

zu kaufen”, sagt Stehr. “Mal abwarten, wie sich so ein Boykottaufruf auswirkt.”

Mittlerweile gibt es viele

Internet-Portale, die über Produkte und Kampagnen der neuen Ökobewegung

informieren. Utopia.de ist eines davon, eine Seite, die es zu besuchen

lohnt (um nur ein Beispiel zu nennen). Die “Utopisten” gingen erst Anfang

November vergangenen Jahres online, seitdem haben sie nach eigenen Angaben

mehr als 8.000 angemeldete Nutzer und 750.000 Klicks monatlich.

Es ist schwer, den Umfang

der neuen Ökobewegung einzuschätzen. Konrad Götz vom Frankfurter

Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) zählt etwa

ein Drittel der Bevölkerung zu den Sympathisanten. Sie setzen sich

nach seiner Ansicht aus drei Gruppen zusammen: aus engagierten, jungen

Leuten, die das Thema für sich neu entdecken; aus jenen Männern

und Frauen um die 50, für die Naturverbundenheit traditionell eine

wichtige Qualität ist; und aus den überzeugten Alt-Ökos,

die schon seit den siebziger Jahren den Unterschied zwischen Demeter und

Bioland kennen.

Die Alt-Ökos. Mit ihrem

Warenangebot unterhalb des ästhetischen Nullniveaus, dem Jute-statt-Plastik-Charme

und ihren oft verbiesterten Grundsatzgesichtern sind sie der Angstgegner

aller neuen Ökos.

Denn deren Welt sieht fröhlicher

und, ja, hedonistischer aus: Die Seite von utopia.de ist schön bunt,

und alles, was man anklickt, dreht sich. Unfried wiederum macht viele Worte,

um das Vergnügen an seiner neuen Lebenshaltung hervorzuheben, und

Konrad Götz betont den Pragmatismus und die Kreativität im neuen

Umgang mit dem Thema. “Es wird nicht mehr fünf Tage nachgedacht und

diskutiert, sondern gehandelt”, sagt er.

Das Bestreben, sich von der

alten Ökobewegung abzusetzen, ist klar erkennbar; zu genussfeindlich,

zu dröge scheint sie noch heute zu wirken. Aber ihr ist es immerhin

zu verdanken, dass die neuen Ökos in Deutschland nicht bei null anfangen

müssen. “Das ganze Leben wird intensiver”, sagt Unfried. In der Einleitung

zu seinem Buch fällt auch das Stichwort von der “lebensverändernden

Bewusstseinserweiterung”. Vielleicht braucht man so viel Überbau,

um seinen Alltag umzukrempeln, um es zu wagen, so zu leben wie jene, die

immer furchtbar selbstgestrickt aussahen, egal, was sie trugen. Öko

als Orientierungshilfe einer orientierungslos gewordenen Konsumgesellschaft.

Wer hätte das gedacht.

Und das Schöne an der

neuen Ökobewegung ist: Man muss nicht mal verzichten, um ein besserer

Mensch zu sein! Nicht auf Genuss, nicht auf Stil, gut, vielleicht auf einige

PS unter der Motorhaube. Aber sonst: “Leichtes Avantgardegefühl, null

Unbequemlichkeit, sehr angenehm”, wie Unfried schreibt.

Ein bisschen erinnert das

an Diätversprechen, die lauten: Essen Sie, was Sie wollen, und nehmen

Sie trotzdem fünf Pfund in fünf Tagen ab. Das hat auch nie geklappt.

Eine weltweite Reduktion der Treibhausgase ist nun mal nur durch weniger

Treibhausgase hinzubekommen.

“Das mit dem Verzicht ist

ein schwieriges Thema”, sagt Konrad Goetz von der ISOE. Wobei angeblich

nicht der Verzicht an sich den Menschen die größten Probleme

bereitet, sondern die Umstellung auf das Neue. Und noch davor die Vorstellung,

verzichten zu müssen. “Wir empfinden den Umbau unserer Routinen als

extrem unbequem”, erklärt der Soziologe Götz. Wie viele fahren

nur deshalb mit dem Auto zur Arbeit statt mit der Bahn, weil sie es einfach

so gewohnt sind?

Wer sich die Mühe macht,

von nun an ins Büro zu radeln, wird das in dem Moment nicht mehr als

Komfortverlust empfinden, in dem es zur neuen Routine geworden ist. Im

Gegenteil. Frische Luft, Himmel, Bewegung – so wird aus Verzicht Genuss.

Peter Unfried sieht die Sache

noch etwas differenzierter. Für ihn führen drei Schritte zur

veränderten Lebensweise. Der erste besteht in der Aufgabe, seinen

persönlichen Energieverbrauch besser zu kontrollieren. Im zweiten

Schritt vernetzt man sich dabei mit Gleichgesinnten. Der dritte liegt darin,

dem Thema Öffentlichkeit und Prominenz zu verschaffen.

Und ist das alles nun mehr

als eine Mode, die, wie so viele andere, bald wieder abgelöst werden

wird?

“Wenn du einmal damit angefangen

hast, kommst du da nicht mehr raus”, sagt Peter Unfried. “Solange es keine

lang anhaltende Rezession gibt, werden sich sukzessive immer mehr Konsumenten

diesem Trend anschließen”, vermutet Nico Stehr. Und Konrad Goetz

meint: “Das ist erst der Anfang.”

 

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