RootZ Thema – Das Bongo Bongo Sunsplash 1998 in Oberdreis, Westerwald



 

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Bongo Bongo Sunsplash

Oberdreis (Westerwald)

21.-23. August 1998

“Was für eine Schlammschlacht”, das sind die ersten Gedanken,
die mir durch den Kopf schießen, wenn ich mich an das Festival erinnere.
Jah’s Beauftragter für angenehmes Festivalwetter war offensichtlich
auf Urlaub in einem der jamaikanischen All-Inclusive-Clubs und hat ob der
ganzen karibischen Sonne vergessen, die himmlischen Wassermengen für
den Rest der Welt zu regeln. Das Ergebnis waren sintflutartige Regenfälle
am ersten Tag des Festivals. Für elf Stunden schüttete es wie
aus Eimern, die gesamte auf Mutterboden und Rollsplitt errichtete Festivalinfrastruktur
drohte, ein paar Zentimeter in den Boden zu sinken, Securities mußten
abgezogen werden um so vor Lungenentzündung geschützt zu werden.
Und den mutigen Menschen, die die Übernachtung auf dem Campingplatz
wagten, wuchsen über Nacht Schwimmhäute zwischen den Fingern.
Und das alles, obwohl Jah eigentlich eine strahlende Hochsommersonne mit
goldenem Licht für das Festival hätte bescheren sollen. Dem Team
von I R I E blieben die freitäglichen Abenteuer mit dem Wetter glücklicherweise
erspart, denn wir sind erst am Sonnabendmittag auf dem Gelände eingetroffen.
“Sonnabend”, die Bezeichnung war für diesen Tag ein Hohn, denn es
regnete zwar nicht elf Stunden, wie am Vortag, aber immer noch ausreichend,
um bis über die Knöchel im Matsch zu waten und die Klamotten
bis zur Kniehöhe erdfarben zu tönen. Aber auch die Millionen
Regentropfen, die auf die Häupter der Reggaefans rieselten und auf
das Dach des Veranstaltungszeltes trommelten, haben es nicht geschafft,
den Festivalbesuchern die Stimmung auf gute Musik, Spaß und Essen
zu verderben.

Doch
nun von Anfang an. Der Freitag ist traditionell dem Rock und Blues vorbehalten
und für I R I E eher uninteressant. Daher haben wir uns, wie oben
schon erwähnt, erst am Samstag auf dem Gelände eingefunden. Schon
die Anfahrt war eine kleine Odyssee, denn uns ist es trotz guter Beschilderung
passiert, daß wir das Festival nicht auf Anhieb gefunden haben. Dafür
kennen wir jetzt die Gegend um Altenkirchen wie unsere Westentasche, wer
Fragen zu der Region hat, möge sich melden. Irgendwann haben wir jedoch
dank Jah Guide die richtige Straße erwischt und landeten am Festivalgelände
Kaisergarten, wo das sechste Bongo Bongo Sunsplash seinen Lauf nahm. Schade,
daß die Wahl des Namens “Sunsplash” nicht ein wenig mehr Eindruck
auf den erwähnten Wasserbeauftragten Jah’s gemacht hat und er es in
ein Rainsplash dubbte. Egal, was unter dem Wetter litt waren zwar die Klamotten,
aber die Laune und Herzlichkeit der Leute waren nicht kleinzukriegen.

Die guten Vibes der Festivalbesucher konnte man schon bei der Einfahrt
auf den Campingplatz, eine gemähte Weide, bemerken, und trotz des
allgegenwärtigen Matsches, rutschender Autos und klammer Zelte schallte
überall der alte Reggae aus den Boxen, es wurde gegrillt, gegessen,
getrunken, geraucht, gelacht und geschwatzt. Leute, die sich sonst wohl
kaum begegnen würden, kamen ins Gespräch und so wurde die eine
oder andere Bekanntschaft geschlossen.

Das I R I E -Team bog in die Einfahrt zum Zeltplatz ein und schlidderte
über die Matschspur zum endgültigen Standort. Dort wurde auf
dem Lehmpudding der stabilste Punkt gesucht, um das Zelt zu errichten.
Einen Hammer, um die Häringe in den Boden zu treiben, brauchte man
nicht, die Metallstifte gingen in den Boden, wie das sprichwörtliche
Messer durch die warme Butter. Um uns herum stand schon eine bunte Zelt-
und Caravanstadt, geschmückt mit Fahnen, Wimpeln und jeder Menge Hanfpflanzen,
bei deren Anblick ich zunächst dachte, daß es doch eigentlich
schade ist, diese edle Pflanze als Dekoration langsam eintrocknen zu lasse.
Zu dem Zeitpunkt kannte ich den Ursprung der grünen Spaßmacher
noch nicht, aber dazu später.

Auch wenn der Campingplatz schön bunt war, konnte nichts darüber
hinwegtäuschen, daß die Witterung einige Leute zu Hause belassen
hat, denn sowie Camping, als auch das Konzertgelände waren relativ
leer. Aber das hat auch Vorteile, wenn auch nicht unbedingt für den
Organisator: die gesamte Veranstaltung war sehr übersichtlich und
aufgrund der kleinen Menge Mensch entwickelte sich eine sehr familiäre
Athmosphäre, die um einiges angenehmer war, als das Getrete und Geschiebe
der großen Veranstaltungen. Auch von den auf solchen Festivals normalerweise
entstehenden Müllbergen gab es beim Bongo Bongo keine Spur. Das Gelände
war von Anfang bis Ende geleckt sauber, so daß mensch ohne Problem
mit dem Matsch leben konnte, denn schließlich ist das Teil der Natur.

Lehmpackungen hin und her, wir schreiben nicht über alternativ-medizinische
Behandlungsmethoden durch Erdbeschichtung, sondern von Musik. Diese fand
auf einem separaten Gelände etwa dreihundert Meter vom Camping in
einem großen Zelt statt. Auch wenn viele Bands, die auf diesem und
den vorigen Festivals aufgetreten sind, großenteils noch nicht einmal
dem eingeweihten Reggaekenner etwas sagen, die Musik, die sie machen ist
immer vom Feinsten. Und warum auch immer Megastars aus der Karibik featuren,
denen häufig noch ein Teil des gerade hochgezogenen Koks aus den Nüstern
rieselt und die entsprechende Summen kosten, um sie dem hiesigen Publikum
vorzuführen? Beim Bongo Bongo Sunsplash handelt es sich um ein Festival,
das Rootsmusik anbietet und genau wegen dieses Aspektes war die Bandauswahl
1998 wieder einmal sehr passend getroffen.

Zugegebenerweise haben wir die erste Band, die den Reggaeteil des
Festivals eröffnet hat, fast verpaßt, die Zugabe konnten wir
gerade noch hören. “Concrete Jungle” heißt die Kombo, der Name
ist einem Stück von Bob Marley entliehen, der sich wiederum der Bezeichnung
eines berüchtigten Slums von Kingston, Jamaika bedient. Keine Frage,
die Jungs aus der Band sind bestimmt dem Reggae und auch dem Vorbild Bob
Marley verbunden, die Referenz auf eines der krassesten Gettos der Insel
macht die junge Band aus Darmstadt jedoch nicht gerade glaubwürdig.
Aber wer qweiß, vielleicht kennen sie den Ursprung des Namens auch
nicht. Wie gesagt, verpaßt, darum werde ich mich hier auch nicht
weiter über sie auslassen.

Es folgte “Easy Chanting”, Reggaeband aus unserem Nachbarland mit
den Käserädern von Frau Antje. Noch genauer, aus Groningen kommt
der multikulturelle Act. Sie haben sich dort gefunden und machen seitdem
Sound zusammen, die Musiker aus den Antillen, Indonesien, Griechenland
und den Niederlanden, mit dem Frontmann Natty D aus Liberia, Westafrika.

Die
Leute haben schon jede Menge Liveerfahrung gesammelt, denn sie konnten
einige Shows von “Burning Spear” als Vorgruppe begleiten. Weiterhin touren
sie regelmäßig mit “Roots Syndicate”, wie man sagt, die Nummer-Eins-Reggae-Band-der-Niederlande.
Ihr Auftritt am Samstagnachmittag stand den jamaikanischen Vorbildern jedenfalls
kaum nach. Geboten wurden Dancehall- und Ragganummern, viele altbekannte
Riddims, auf denen es schon -zig verschiedene jamaikanische Versions gibt,
aber auch Eigenkompositionen. Wer die CD von Easy Chanting kennt, wird
den mehr rootsigen Sound der Scheibe auf der Bühne etwas vermißt
haben, denn die Raps von Natty D ließen die Tunes eher gen Dancehall
driften. Insgesamt war die Show von Easy Chanting auf jeden Fall ein gelungener
Auftritt auf dem Bongo Bongo Sunsplash 1998.

Damit war das Tagesprogramm gegen 19 Uhr auch schon bestritten. Zwei
mir vorher unbekannte Bands, die mir wegen ihrer lebendigen und auch eigenen
Interpretation von Reggaemusik gut gefallen haben gab es schon zu entdecken.
Das macht Hunger!

Angenehm an diesem “Familienfestival” waren die kurzen Wege. Nur
zehn Meter vom Veranstaltungszelt entfernt gab es reichlich zu essen. Da
machten sich Wurst- und Fleischspezialitäten Konkurrenz mit exotischeren
Dingen, wie indischen Reispfannen oder des deutschen Lieblingsimbiss Shesh
Kebab. Und natürlich gab es die Bier- und Colabuden, erfreulicherweise
ergänzt durch einen Stand im Zelt, wo man echten Rumpunch, eine jamaikanische
Spezialität für laue Sommernächte, erst erwerben und dann
schlürfen konnte. Man muß sagen, daß für jeden Geschmack
bestimmt etwas eß- oder trinkbares auf dem Festival zu ergattern
war.

Um 20 Uhr
ging die Gruppe “Root B Tama” auf die Bühne. Die Musiker um den gebürtigen
Ghanaer Akwasi Kyereme vom legendären Volk der Aschanti stammen ebenfalls
aus Ghana und aus den Niederlanden. Ihr Sound ist am besten als Roots Reggae
mit jazzigem Touch zu beschreiben. Die jazzige Nuance bildet sich aus drei
Komponenten: den Einflüssen von Akwasi, er sieht seine Wurzeln bei
Afromusikern, wie Fela Kuti, Manu Dibango oder Abdullah Ibrahim, dem Einsatz
eines funkig-jazzig gespielten sechssaitigen Basses und einem jazzigen
Biß von zwei Saxophonen und schlußendlich auch von der Auswahl
der jazzigen Coverversionen, wie Armstrongs “Wonderful World”. Aber auch
Marleysongs und soulige Eigenkompositionen wurden dem Publikum vorgestellt,
gekrönt von zwei schnellen Afropop-Nummern.

Viele Melodien begleitete Akwasi in seiner Muttersprache Aschanti,
einige Texte brachte er aber auch in Englisch oder gleich in mehreren Sprachen,
ein Stilmittel, das Alpha Blondy auch gerne benutzt. Der Auftritt vermittelte
einen überzeugenden Eidruck von einer Band, die sich dem Conscious
Reggae verschrieben hat.

Die Musiker kommen ursprünglich alle aus Berlin, aber seit einiger
Zeit hat Akwasi sich zum Wahlkölner erklärt, was der Qualität
der Musik jedoch offensichtlich nicht geschadet hat, der Auftritt in den
Westerwald Hills hat es bewiesen.

Hauptact des Samstags war eine weitere Berliner Band namens “Livin’
Spirits”. An diesem Abend kamen sie mit Verstärkung: Tikiman, ein
original karibischer Frontmann im Stil eines Entertainers à la Eek-A-Mouse
mischte im Original DJ-Stylee die Szene in den Westerwald Hills auf.

Durch die
ausdrucksstarke Performance von Tikiman war bei einer Roots Reggaeband
damit der moderne Aspekt des Genres vertreten, indem er hier und da Dancehallathmosphäre
mit seinem “Wheel and come again” aufkommen ließ. Daneben wurden
eine Reihe von Covers, erstaunlicherweise wieder der alte Louis mit seiner
“Wonderful World”, und auch ein paar andere Reggaestandards, wie Peter
Tosh’s “Mama Afrika” gespielt, alles in sauberem Roots Style, so daß
das Publikum wirklich in eine gute und tanzbare Stimmung geskankt wurde.
So tanzte bald das gesamte Zelt, was unter den Füßen ein eigenartiges
Gefühl verursacht hat: das Schwingen des Holzbodens hat mich daran
erinnert, als wäre ich betrunken auf einem Boot mit hohem Seegang.
Aber wenn man einmal im Groove der Planken drin war und mitgegangen ist,
war es plötzlich eher so, als hätte die Schwerkraft teilweise
nicht mehr existiert.

“Jah Sound International” war der krönende Abschluß des
Abends. Das niederländische Soundsystem ist in der hiesigen Szene
wohlbekannt, spätestens seit es am neunten Januar 1998 beim internationalen
Soundclash in Bremen Europameister wurde. Bekannt sind sie auch deshalb,
weil viele Besucher der Überzeugung waren, daß der Sieg einem
anderen Soundsystem gebührte. Weil Jah Sound auch gleichzeitig der
Mitveranstalter des Soundclashes war, kam derzeit der Verdacht der Schieberei
auf.

Egal, am Samstagabend haben die Niederländer das Zelt in Oberdreis
innerhalb von Minuten zum Kochen gebracht. Die verschiedenen DJs spielten
zwar nicht unbedingt den modernsten Sound, es war offensichtlich mehr ein
Recycling- und Revivalabend angesagt. Dadurch aber, daß verschiedene
DJs an den Turntables zugange waren, gab es trotz des Fehlens der aktuellen
Tunes einen abwechslungsreichen Set des Soundsystems, welches Europa bei
dem weltweiten Clash in New York vertreten hat und die Leute haben noch
bis tief in die Nacht Party gefeiert.

Der Sonntagmorgen begann matschig und zwar von innen und außen.
Von innen trugen die Portion Feuerwasser und diverse Sorten THC dazu bei,
der Matsch war zäh und klebrig und von außen war es ein nächtlicher
Wolkenbruch, der dazu führte, daß das Campinggelände zu
einem gigantischen Schokopudding mutierte, mit einer eher glibbrigen und
kalten Beschaffenheit.

Kaum war ich aus dem Schlafsack gepellt und hatte meine müden
Glieder gereckt und Lider gehoben, als mein Herz schon einen Satz tat:
Ich mußte es am Vortag wohl einfach übersehen haben, obwohl
es dafür eigentlich viel zu groß war. Die Rede ist von einem
immensen Hanffeld, welches höchstens hundert Meter vom Zelt entfernt
strahlend grün vor sich hin leuchtete. Jetzt war mir auch klar, womit
die Mitcamper alle ihre Zelte dekoriert hatten, denn wären das richtig
gute Pflanzen gewesen, die dort überall herumhingen und -standen,
hätten die Leute ehrlich gesagt einen Frevel begangen, das Kraut nicht
zu rauchen.

Morgenurin im Hanffeld, dann kann am Tag eigentlich nix mehr schiefgehen.
Nach einem bißchen mehr staunen und gucken in der Botanik habe ich
mich dann aufgemacht, meinen Kollegen aus dem Koma zu holen, denn es war
langsam Frühstückszeit. Da er am vergangenen Abend jedoch dem
Feuerwasser um einiges mehr zugetan war, hatte ich damit ein paar Probleme.
Als ich ihm aber von einem leckeren Frühstücksbuffet im Bongo
Bongo Oberdreis, dem zum Festival gehörigen Café, oder ist
es anders herum (?), erzählte, öffnete er seine rotgeränderten
Plierchen und stammelte etwas von einer gute Idee und später noch
schlafen.

Der
Weg vom Festival zum Café ist nicht lang und führt idyllisch
durch Felder und an Obstgärten vorbei. Das Bongo Bongo liegt inmitten
des Dorfes und war an diesem Sonntagmorgen recht gut besucht. Extra für
das Festival wurde ein Frühstücksbuffet angeboten, das für
14.50 DM auch als erschwinglich kalkuliert war. Und es gab etwas für
die Kohle: neben frischen Brötchen, Butter und warmen Getränken
konnte man sich an dem zum Buffett umgebauten Billardtisch an allen möglichen
Leckereichen bedienen. Ich jedenfalls war am Ende pappsatt und denke, daß
alle, die nicht allzu spät zu dem Freßvergnügen gekommen
sind, auch ihre Mägen noch richtig dehnen konnten.

Auf dem Rückweg zum Zelt wurde ein Schlenker zu dem am Morgen
entdeckten Hanffeld gemacht
und da standen die Pflanzen, alle einträchtig in Reih und Glied und
wogen ihre Häupter in der Brise. Es ist schon ein majestätischer
Anblick, wenn man zu drei Meter hohen Pflanzen emporblickt, auch wenn man
aus den Fasern bestenfalls ein T-Shirt herstellen kann und es leider kein
für die Kopfhygiene wichtiges THC zu holen gibt. Es folgte eine kleine
Fotosession, denn soviel Schönheit gehört eingefangen und auch
Jah zeigte sich für die Aktion gnädig und ließ für
eine kurze Zeit die Sonne hinter den Wolkenbergen hervorlinsen.

Während der Kollege sich wieder hingelegt hat, um die andere
Hälfte vom im Körper verbliebenen Feuerwasser abzubauen, habe
ich mich frischgemacht und für die Arbeit des Tages vorbereitet. Im
Anschluß ging es gen Musik, wobei ich zunächst im Backstagebereich
Station gemacht habe, um eine Tasse Kaffee und die neuesten Infos zu ergattern
und einen Interviewtermin mit Jörg, dem Veranstalter des Festivals
zu bekommen, was sich als etwas zäh aber nicht als hoffnungslos herausstellte.

Das sonntägliche Tagesprogramm begann um 10 Uhr nicht mit einer
Andacht, sondern mit einem Frühschoppen, hauptsächlich gedacht
für Begegnungen zwischen Bewohnern aus den umliegenden Gemeinden und
dem für das Festival angereisten Reggaevolk, daher auch kein Eintritt.
Angeschlossen war eine Kinderecke mit Kasperletheater und andere Aktivitäten
für die kleinen Reggaefans, für Familien ein phantastische Idee.

Um 13 Uhr begann das Musikprogramm am Tag des Herrn mit einer aus
Koblenz angereisten Gruppe, die es gerade mal erst ein halbes Jahr gibt.
Die Jungs nennen sich “Mista Svensson”, auf jeden Fall mit doppeltem ‘s’,
sonst paßt es nicht. Und sie sind heiß! Was diese neunköpfige
Truppe innerhalb von sechs Monaten auf die Beine gestellt hat, läßt
sich hören. Bestätigt wurde ihnen das auch schon, denn sie wurden
immerhin Zweite bei dem Hunsrock-Nachwuchsfestival.

Die Musiker, alle Anfang bis Mitte zwanzig, haben schnell ihren Sound
gefunden, es ist eine Mischung aus Reggae und Jazz, resultierend aus der
Entwicklung einer früheren Jazzfunk- zu einer Reggaeband. Auch das
eine oder andere Popelement ist integriert und zusammen mit den englischen
Texten, der Sänger traut sich noch keine deutschen Lyrics zu, plätschert
der Sound sehr unterhaltsam dahin, hier und da werden passende Bläserakzente
durch zwei Saxophone gesetzt. Was dem Sound fehlt, aber das kann mensch
bestimmt nach nur einem halben Jahr Bandgeschichte verzeihen, sind die
reggaetypischen Harmoniegesänge.

In Oberdreis konnte Mista Svensson trotz echten Bemühungen die
Puppen leider nicht tanzen lassen, denn viele hatten so “früh” am
Tag noch keinen richtigen Geschmack an Musik gefunden und wer schon an
der Bühne war, dem steckte die Feierei vom Vortag noch in den Knochen.
Aber alßt Euch gesagt sein: von dieser Kombo werden wir noch hören.

Es
folgte eine Band aus dem Grenzgebiet zu Frankreich, genauer aus dem Großraum
Saarbrücken. Die achtköpfige Gruppe nennt sich “Mia Risa” und
spielt eine Art von Roots Reggae, der durch den Einsatz vieler Percussioninstrumente
in einer sehr rhythmischen Interpretation ‘rüberkommt. Für den
typischen Rootsreggae fehlt jedoch ein Element, nämlich der Bläsersatz,
was jedoch durch den Einsatz von Backgroundvocals wieder gut wettgemacht
wird. Die Harmonies liefern drei Schönheiten mit dem Teint von Milchkaffee,
nämlich die Mwangi-Schwestern. Nicht nur durch den Einsatz der drei
Mädels, sondern auch durch die Wahl der Kleidung ist Mia Risa optisch
ein Hingucken wert: allesamt versuchen sich die Musiker in afrikanischen
Stoffen ästhetisch an ihren Sound anzupassen.

Zwei Musiker schienen mir anfangs nicht in das Bandkonzept zu passen,
nämlich der Keyboarder und der Sänger. Beim späteren Nachfragen
hat sich das dann aufgeklärt: der Tastenspieler hat gerade eine Woche
vor dem Konzert von seiner alten Band “La Bouche”, einem deutschen Danceact
kommerziellster Art, zu Mia Risa gewechselt und muß sich noch komplett
in den Sound integrieren. Und beim Sänger habe ich immer gedacht,
peinlich, dieser Versuch, Patois zu singen und kläglich zu versagen.
Es stellte sich heraus, daß dies kein Versuch sein sollte, Patois
zu sprechen, sondern daß er in Griechenland Englisch gelernt hat
und dieses nun mit hellenischem Akzent und Grammatik spricht und singt.

Der internationale
Teil des Tages wurde eröffnet von den “Screaming Abdubs”, der Name
bedeutet im Englischen in etwa “durchdrehen” oder “verrückt werden”,
hier die offiziele Definition der Band: “from: Screaming (h)abdabs; a state
of agitation, bordering on hysteria. Usually heard in the phrase ‘it gives
me (a case of) the screaming abdabs’, it makes me extremely irritated,
agitated”. Die sieben Musiker stammen aus den Niederlanden, genauer, dem
Großraum Amsterdam. Sie hatten Ende 1995 einen großen Rückschlag
einzustecken, als sie bei der Rückkehr von einer Frankreichtournee
einen Unfall mit dem Tourbus hatten und sich der Keyboarder Giesbert Nijhuis
dabei drei Rückenwirbel brach und an der Verletzung verstarb. Fast
drei Jahre danach hängt über der Band noch eine leichte Melancholie,
aber in ihrer Musik ist der Verlust von Giesbert nicht mehr so stark zu
hören, denn die Band hat mit dem Dub Creator einen musikalischen Ersatz
gefunden.

Ursprünglich kommt die Gruppe aus dem Skabereich, was an einigen
Stücken auch noch sehr gut zu hören war, sind heute aber eher
eine Rootsband mit heavy Einflüßen aus dem Dubbereich. Das Keyboard
spuckt phasenweise gar technoide Sounds aus, die stark an “Dreadzone”,
“Zion Train” oder vergleichbare Acts erinnern.

Live bieten
die Abdubs von der gesamten Palette jamaikanischer Musik etwas. Angefangen
von netten Covers, wie “Legalize It” von “Peter Tosh”, natürlich begleitet
vom obligatorischen Spliff, bis zu elektronischen Beats wird alles angeschnitten.
Die Band liefert Songs mit nahtlosen Übergängen von Dub zu Ska
zu Dancehall, das macht das Geheimnis ihres Sounds aus.

Gewürzt wird ihre musikalische Melange mit viel Percussion und
zwei Mann an verschiedenen Blasinstrumenten und einer guten Portion Funk.
Der Frontmann Maico hat eine sehr gute Reggaestimme und weiß mit
seiner Art auf der Bühne schnell das Publikum mitzureißen und
zu kontrollieren. Als er zur Zugabe als Clown auf die Bühzne kam und
ein paar Faxen machte, hatte er nicht nur die Kinder im Zelt auf seiner
Seite. Für mich waren sie die beste Gruppe des Festivals.

Dann wurde es draußen langsam düster und die Vibes drinnen
wurden jamaikanischer und authentischer, denn “Natty Dread And The UFO
Band” waren angesagt. Der Frontmann Natty Dread hat Bob Marley in seinen
letzten Jahren als Weggefährte begleitet und so konnte es keinen verwundern,
daß ein satter Teil des vorgeführten Programms aus Bob Marley
Covers bestand.

Der Saal
war voll, die Leute auch, der Appleton Rumpunsch tat seine Wirkung und
die Stimmung war dementsprechend irie. Die Songs von der Band taten einen
guten Teil dazu bei, daß bald im ganzen Zelt getanzt und geskankt
wurde, Natty Dread und seine Band aus Ghana und den Niederlanden verbreiteten
echte Partyvibes.

Und als dann der erste und einzige afrikanische Act auf die Bühne
kam, war das Festivalzelt kurz vorm Kochen. “Osibisa”, eine Legende in
der Szene, seit fünfundzwanzig Jahren oder länger spielen sie
in der Weltmusikszene eine Rolle, bei uns waren sie sogar eine Art von
Wegbereiter für die vielen “exotischen” Bands, die nach ihnen kamen.

Es war lange
ruhig um sie , ihre Alben gab es als billige Wiederveröffentlichungen
und von Livekonzerten der Band habe ich lange nichts gehört. Letzteres
habe ich auch den Abend bestätigt bekommen: seit vier Jahren der erste
Gig überhaupt. Und da waren sie, die Legende aus den Siebzigern, zehn
Leute, davon fünf Originale und sie rockten ab wie eh und je.

Oberdreis erlebte mit der Afrorockband Osibisa einen echten Höhepunkt.
Das Publikum faßte schnell Feuer und tanzte, was die Füße
nach bis zu drei Tabegen Festival noch hergeben wollten. Denn gut tanzbar
ist die Musik dieser Protoethnoband: Afro, Soul, Rock, Funk, Jazz, alles
zusammen gut aufgekocht und am Ende mit der einen oder anderen Nuance in
ihren Songs fein abgestimmt. Einen richtigen Abräumer an das Ende
des sechsten Bongo Bongo Sunsplash zu setzen, hat sich als gutes Rezept
erwiesen, alle Besucher sind nach der Show bestimmt sehr zufrieden nach
Hause gefahren.

Zum sechsten Mal gab es ein Festival, abseits vom Trubel, ohne große
Megastars, dafür aber gemütlich, familiär und überschaubar.
Und ich habe dadurch wieder gemerkt: ich interessiere mich lieber für
die Rootsszene hier vor Ort, sprich, was für Bands nachwachsen, als
ausschließlich für die Szene auf Jamaika. Hoffentlich sehen
wir uns nächstes Jahr beim siebenten Mal, ich würde mich freuen.


 


Copyright: Dr. Igüz 1998

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