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Bongo Bongo CDs
Interview mit dem Veranstalter
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Bongo Bongo Sunsplash
Oberdreis (Westerwald)
21.-23. August 1998

"Was für eine Schlammschlacht", das sind die ersten Gedanken, die mir durch den Kopf schießen, wenn ich mich an das Festival erinnere. Jah's Beauftragter für angenehmes Festivalwetter war offensichtlich auf Urlaub in einem der jamaikanischen All-Inclusive-Clubs und hat ob der ganzen karibischen Sonne vergessen, die himmlischen Wassermengen für den Rest der Welt zu regeln. Das Ergebnis waren sintflutartige Regenfälle am ersten Tag des Festivals. Für elf Stunden schüttete es wie aus Eimern, die gesamte auf Mutterboden und Rollsplitt errichtete Festivalinfrastruktur drohte, ein paar Zentimeter in den Boden zu sinken, Securities mußten abgezogen werden um so vor Lungenentzündung geschützt zu werden. Und den mutigen Menschen, die die Übernachtung auf dem Campingplatz wagten, wuchsen über Nacht Schwimmhäute zwischen den Fingern. Und das alles, obwohl Jah eigentlich eine strahlende Hochsommersonne mit goldenem Licht für das Festival hätte bescheren sollen. Dem Team von I R I E blieben die freitäglichen Abenteuer mit dem Wetter glücklicherweise erspart, denn wir sind erst am Sonnabendmittag auf dem Gelände eingetroffen. "Sonnabend", die Bezeichnung war für diesen Tag ein Hohn, denn es regnete zwar nicht elf Stunden, wie am Vortag, aber immer noch ausreichend, um bis über die Knöchel im Matsch zu waten und die Klamotten bis zur Kniehöhe erdfarben zu tönen. Aber auch die Millionen Regentropfen, die auf die Häupter der Reggaefans rieselten und auf das Dach des Veranstaltungszeltes trommelten, haben es nicht geschafft, den Festivalbesuchern die Stimmung auf gute Musik, Spaß und Essen zu verderben.

Doch nun von Anfang an. Der Freitag ist traditionell dem Rock und Blues vorbehalten und für I R I E eher uninteressant. Daher haben wir uns, wie oben schon erwähnt, erst am Samstag auf dem Gelände eingefunden. Schon die Anfahrt war eine kleine Odyssee, denn uns ist es trotz guter Beschilderung passiert, daß wir das Festival nicht auf Anhieb gefunden haben. Dafür kennen wir jetzt die Gegend um Altenkirchen wie unsere Westentasche, wer Fragen zu der Region hat, möge sich melden. Irgendwann haben wir jedoch dank Jah Guide die richtige Straße erwischt und landeten am Festivalgelände Kaisergarten, wo das sechste Bongo Bongo Sunsplash seinen Lauf nahm. Schade, daß die Wahl des Namens "Sunsplash" nicht ein wenig mehr Eindruck auf den erwähnten Wasserbeauftragten Jah's gemacht hat und er es in ein Rainsplash dubbte. Egal, was unter dem Wetter litt waren zwar die Klamotten, aber die Laune und Herzlichkeit der Leute waren nicht kleinzukriegen.

Die guten Vibes der Festivalbesucher konnte man schon bei der Einfahrt auf den Campingplatz, eine gemähte Weide, bemerken, und trotz des allgegenwärtigen Matsches, rutschender Autos und klammer Zelte schallte überall der alte Reggae aus den Boxen, es wurde gegrillt, gegessen, getrunken, geraucht, gelacht und geschwatzt. Leute, die sich sonst wohl kaum begegnen würden, kamen ins Gespräch und so wurde die eine oder andere Bekanntschaft geschlossen.

Das I R I E -Team bog in die Einfahrt zum Zeltplatz ein und schlidderte über die Matschspur zum endgültigen Standort. Dort wurde auf dem Lehmpudding der stabilste Punkt gesucht, um das Zelt zu errichten. Einen Hammer, um die Häringe in den Boden zu treiben, brauchte man nicht, die Metallstifte gingen in den Boden, wie das sprichwörtliche Messer durch die warme Butter. Um uns herum stand schon eine bunte Zelt- und Caravanstadt, geschmückt mit Fahnen, Wimpeln und jeder Menge Hanfpflanzen, bei deren Anblick ich zunächst dachte, daß es doch eigentlich schade ist, diese edle Pflanze als Dekoration langsam eintrocknen zu lasse. Zu dem Zeitpunkt kannte ich den Ursprung der grünen Spaßmacher noch nicht, aber dazu später.

Auch wenn der Campingplatz schön bunt war, konnte nichts darüber hinwegtäuschen, daß die Witterung einige Leute zu Hause belassen hat, denn sowie Camping, als auch das Konzertgelände waren relativ leer. Aber das hat auch Vorteile, wenn auch nicht unbedingt für den Organisator: die gesamte Veranstaltung war sehr übersichtlich und aufgrund der kleinen Menge Mensch entwickelte sich eine sehr familiäre Athmosphäre, die um einiges angenehmer war, als das Getrete und Geschiebe der großen Veranstaltungen. Auch von den auf solchen Festivals normalerweise entstehenden Müllbergen gab es beim Bongo Bongo keine Spur. Das Gelände war von Anfang bis Ende geleckt sauber, so daß mensch ohne Problem mit dem Matsch leben konnte, denn schließlich ist das Teil der Natur.

Lehmpackungen hin und her, wir schreiben nicht über alternativ-medizinische Behandlungsmethoden durch Erdbeschichtung, sondern von Musik. Diese fand auf einem separaten Gelände etwa dreihundert Meter vom Camping in einem großen Zelt statt. Auch wenn viele Bands, die auf diesem und den vorigen Festivals aufgetreten sind, großenteils noch nicht einmal dem eingeweihten Reggaekenner etwas sagen, die Musik, die sie machen ist immer vom Feinsten. Und warum auch immer Megastars aus der Karibik featuren, denen häufig noch ein Teil des gerade hochgezogenen Koks aus den Nüstern rieselt und die entsprechende Summen kosten, um sie dem hiesigen Publikum vorzuführen? Beim Bongo Bongo Sunsplash handelt es sich um ein Festival, das Rootsmusik anbietet und genau wegen dieses Aspektes war die Bandauswahl 1998 wieder einmal sehr passend getroffen.

Zugegebenerweise haben wir die erste Band, die den Reggaeteil des Festivals eröffnet hat, fast verpaßt, die Zugabe konnten wir gerade noch hören. "Concrete Jungle" heißt die Kombo, der Name ist einem Stück von Bob Marley entliehen, der sich wiederum der Bezeichnung eines berüchtigten Slums von Kingston, Jamaika bedient. Keine Frage, die Jungs aus der Band sind bestimmt dem Reggae und auch dem Vorbild Bob Marley verbunden, die Referenz auf eines der krassesten Gettos der Insel macht die junge Band aus Darmstadt jedoch nicht gerade glaubwürdig. Aber wer qweiß, vielleicht kennen sie den Ursprung des Namens auch nicht. Wie gesagt, verpaßt, darum werde ich mich hier auch nicht weiter über sie auslassen.

Es folgte "Easy Chanting", Reggaeband aus unserem Nachbarland mit den Käserädern von Frau Antje. Noch genauer, aus Groningen kommt der multikulturelle Act. Sie haben sich dort gefunden und machen seitdem Sound zusammen, die Musiker aus den Antillen, Indonesien, Griechenland und den Niederlanden, mit dem Frontmann Natty D aus Liberia, Westafrika.

Die Leute haben schon jede Menge Liveerfahrung gesammelt, denn sie konnten einige Shows von "Burning Spear" als Vorgruppe begleiten. Weiterhin touren sie regelmäßig mit "Roots Syndicate", wie man sagt, die Nummer-Eins-Reggae-Band-der-Niederlande. Ihr Auftritt am Samstagnachmittag stand den jamaikanischen Vorbildern jedenfalls kaum nach. Geboten wurden Dancehall- und Ragganummern, viele altbekannte Riddims, auf denen es schon -zig verschiedene jamaikanische Versions gibt, aber auch Eigenkompositionen. Wer die CD von Easy Chanting kennt, wird den mehr rootsigen Sound der Scheibe auf der Bühne etwas vermißt haben, denn die Raps von Natty D ließen die Tunes eher gen Dancehall driften. Insgesamt war die Show von Easy Chanting auf jeden Fall ein gelungener Auftritt auf dem Bongo Bongo Sunsplash 1998.

Damit war das Tagesprogramm gegen 19 Uhr auch schon bestritten. Zwei mir vorher unbekannte Bands, die mir wegen ihrer lebendigen und auch eigenen Interpretation von Reggaemusik gut gefallen haben gab es schon zu entdecken. Das macht Hunger!

Angenehm an diesem "Familienfestival" waren die kurzen Wege. Nur zehn Meter vom Veranstaltungszelt entfernt gab es reichlich zu essen. Da machten sich Wurst- und Fleischspezialitäten Konkurrenz mit exotischeren Dingen, wie indischen Reispfannen oder des deutschen Lieblingsimbiss Shesh Kebab. Und natürlich gab es die Bier- und Colabuden, erfreulicherweise ergänzt durch einen Stand im Zelt, wo man echten Rumpunch, eine jamaikanische Spezialität für laue Sommernächte, erst erwerben und dann schlürfen konnte. Man muß sagen, daß für jeden Geschmack bestimmt etwas eß- oder trinkbares auf dem Festival zu ergattern war.

Um 20 Uhr ging die Gruppe "Root B Tama" auf die Bühne. Die Musiker um den gebürtigen Ghanaer Akwasi Kyereme vom legendären Volk der Aschanti stammen ebenfalls aus Ghana und aus den Niederlanden. Ihr Sound ist am besten als Roots Reggae mit jazzigem Touch zu beschreiben. Die jazzige Nuance bildet sich aus drei Komponenten: den Einflüssen von Akwasi, er sieht seine Wurzeln bei Afromusikern, wie Fela Kuti, Manu Dibango oder Abdullah Ibrahim, dem Einsatz eines funkig-jazzig gespielten sechssaitigen Basses und einem jazzigen Biß von zwei Saxophonen und schlußendlich auch von der Auswahl der jazzigen Coverversionen, wie Armstrongs "Wonderful World". Aber auch Marleysongs und soulige Eigenkompositionen wurden dem Publikum vorgestellt, gekrönt von zwei schnellen Afropop-Nummern.

Viele Melodien begleitete Akwasi in seiner Muttersprache Aschanti, einige Texte brachte er aber auch in Englisch oder gleich in mehreren Sprachen, ein Stilmittel, das Alpha Blondy auch gerne benutzt. Der Auftritt vermittelte einen überzeugenden Eidruck von einer Band, die sich dem Conscious Reggae verschrieben hat.

Die Musiker kommen ursprünglich alle aus Berlin, aber seit einiger Zeit hat Akwasi sich zum Wahlkölner erklärt, was der Qualität der Musik jedoch offensichtlich nicht geschadet hat, der Auftritt in den Westerwald Hills hat es bewiesen.

Hauptact des Samstags war eine weitere Berliner Band namens "Livin' Spirits". An diesem Abend kamen sie mit Verstärkung: Tikiman, ein original karibischer Frontmann im Stil eines Entertainers à la Eek-A-Mouse mischte im Original DJ-Stylee die Szene in den Westerwald Hills auf.

Durch die ausdrucksstarke Performance von Tikiman war bei einer Roots Reggaeband damit der moderne Aspekt des Genres vertreten, indem er hier und da Dancehallathmosphäre mit seinem "Wheel and come again" aufkommen ließ. Daneben wurden eine Reihe von Covers, erstaunlicherweise wieder der alte Louis mit seiner "Wonderful World", und auch ein paar andere Reggaestandards, wie Peter Tosh's "Mama Afrika" gespielt, alles in sauberem Roots Style, so daß das Publikum wirklich in eine gute und tanzbare Stimmung geskankt wurde. So tanzte bald das gesamte Zelt, was unter den Füßen ein eigenartiges Gefühl verursacht hat: das Schwingen des Holzbodens hat mich daran erinnert, als wäre ich betrunken auf einem Boot mit hohem Seegang. Aber wenn man einmal im Groove der Planken drin war und mitgegangen ist, war es plötzlich eher so, als hätte die Schwerkraft teilweise nicht mehr existiert.

"Jah Sound International" war der krönende Abschluß des Abends. Das niederländische Soundsystem ist in der hiesigen Szene wohlbekannt, spätestens seit es am neunten Januar 1998 beim internationalen Soundclash in Bremen Europameister wurde. Bekannt sind sie auch deshalb, weil viele Besucher der Überzeugung waren, daß der Sieg einem anderen Soundsystem gebührte. Weil Jah Sound auch gleichzeitig der Mitveranstalter des Soundclashes war, kam derzeit der Verdacht der Schieberei auf.

Egal, am Samstagabend haben die Niederländer das Zelt in Oberdreis innerhalb von Minuten zum Kochen gebracht. Die verschiedenen DJs spielten zwar nicht unbedingt den modernsten Sound, es war offensichtlich mehr ein Recycling- und Revivalabend angesagt. Dadurch aber, daß verschiedene DJs an den Turntables zugange waren, gab es trotz des Fehlens der aktuellen Tunes einen abwechslungsreichen Set des Soundsystems, welches Europa bei dem weltweiten Clash in New York vertreten hat und die Leute haben noch bis tief in die Nacht Party gefeiert.

Der Sonntagmorgen begann matschig und zwar von innen und außen. Von innen trugen die Portion Feuerwasser und diverse Sorten THC dazu bei, der Matsch war zäh und klebrig und von außen war es ein nächtlicher Wolkenbruch, der dazu führte, daß das Campinggelände zu einem gigantischen Schokopudding mutierte, mit einer eher glibbrigen und kalten Beschaffenheit.

Kaum war ich aus dem Schlafsack gepellt und hatte meine müden Glieder gereckt und Lider gehoben, als mein Herz schon einen Satz tat: Ich mußte es am Vortag wohl einfach übersehen haben, obwohl es dafür eigentlich viel zu groß war. Die Rede ist von einem immensen Hanffeld, welches höchstens hundert Meter vom Zelt entfernt strahlend grün vor sich hin leuchtete. Jetzt war mir auch klar, womit die Mitcamper alle ihre Zelte dekoriert hatten, denn wären das richtig gute Pflanzen gewesen, die dort überall herumhingen und -standen, hätten die Leute ehrlich gesagt einen Frevel begangen, das Kraut nicht zu rauchen.

Morgenurin im Hanffeld, dann kann am Tag eigentlich nix mehr schiefgehen. Nach einem bißchen mehr staunen und gucken in der Botanik habe ich mich dann aufgemacht, meinen Kollegen aus dem Koma zu holen, denn es war langsam Frühstückszeit. Da er am vergangenen Abend jedoch dem Feuerwasser um einiges mehr zugetan war, hatte ich damit ein paar Probleme. Als ich ihm aber von einem leckeren Frühstücksbuffet im Bongo Bongo Oberdreis, dem zum Festival gehörigen Café, oder ist es anders herum (?), erzählte, öffnete er seine rotgeränderten Plierchen und stammelte etwas von einer gute Idee und später noch schlafen.

Der Weg vom Festival zum Café ist nicht lang und führt idyllisch durch Felder und an Obstgärten vorbei. Das Bongo Bongo liegt inmitten des Dorfes und war an diesem Sonntagmorgen recht gut besucht. Extra für das Festival wurde ein Frühstücksbuffet angeboten, das für 14.50 DM auch als erschwinglich kalkuliert war. Und es gab etwas für die Kohle: neben frischen Brötchen, Butter und warmen Getränken konnte man sich an dem zum Buffett umgebauten Billardtisch an allen möglichen Leckereichen bedienen. Ich jedenfalls war am Ende pappsatt und denke, daß alle, die nicht allzu spät zu dem Freßvergnügen gekommen sind, auch ihre Mägen noch richtig dehnen konnten.

Auf dem Rückweg zum Zelt wurde ein Schlenker zu dem am Morgen entdeckten Hanffeld gemacht und da standen die Pflanzen, alle einträchtig in Reih und Glied und wogen ihre Häupter in der Brise. Es ist schon ein majestätischer Anblick, wenn man zu drei Meter hohen Pflanzen emporblickt, auch wenn man aus den Fasern bestenfalls ein T-Shirt herstellen kann und es leider kein für die Kopfhygiene wichtiges THC zu holen gibt. Es folgte eine kleine Fotosession, denn soviel Schönheit gehört eingefangen und auch Jah zeigte sich für die Aktion gnädig und ließ für eine kurze Zeit die Sonne hinter den Wolkenbergen hervorlinsen.

Während der Kollege sich wieder hingelegt hat, um die andere Hälfte vom im Körper verbliebenen Feuerwasser abzubauen, habe ich mich frischgemacht und für die Arbeit des Tages vorbereitet. Im Anschluß ging es gen Musik, wobei ich zunächst im Backstagebereich Station gemacht habe, um eine Tasse Kaffee und die neuesten Infos zu ergattern und einen Interviewtermin mit Jörg, dem Veranstalter des Festivals zu bekommen, was sich als etwas zäh aber nicht als hoffnungslos herausstellte.

Das sonntägliche Tagesprogramm begann um 10 Uhr nicht mit einer Andacht, sondern mit einem Frühschoppen, hauptsächlich gedacht für Begegnungen zwischen Bewohnern aus den umliegenden Gemeinden und dem für das Festival angereisten Reggaevolk, daher auch kein Eintritt. Angeschlossen war eine Kinderecke mit Kasperletheater und andere Aktivitäten für die kleinen Reggaefans, für Familien ein phantastische Idee.

Um 13 Uhr begann das Musikprogramm am Tag des Herrn mit einer aus Koblenz angereisten Gruppe, die es gerade mal erst ein halbes Jahr gibt. Die Jungs nennen sich "Mista Svensson", auf jeden Fall mit doppeltem 's', sonst paßt es nicht. Und sie sind heiß! Was diese neunköpfige Truppe innerhalb von sechs Monaten auf die Beine gestellt hat, läßt sich hören. Bestätigt wurde ihnen das auch schon, denn sie wurden immerhin Zweite bei dem Hunsrock-Nachwuchsfestival.

Die Musiker, alle Anfang bis Mitte zwanzig, haben schnell ihren Sound gefunden, es ist eine Mischung aus Reggae und Jazz, resultierend aus der Entwicklung einer früheren Jazzfunk- zu einer Reggaeband. Auch das eine oder andere Popelement ist integriert und zusammen mit den englischen Texten, der Sänger traut sich noch keine deutschen Lyrics zu, plätschert der Sound sehr unterhaltsam dahin, hier und da werden passende Bläserakzente durch zwei Saxophone gesetzt. Was dem Sound fehlt, aber das kann mensch bestimmt nach nur einem halben Jahr Bandgeschichte verzeihen, sind die reggaetypischen Harmoniegesänge.

In Oberdreis konnte Mista Svensson trotz echten Bemühungen die Puppen leider nicht tanzen lassen, denn viele hatten so "früh" am Tag noch keinen richtigen Geschmack an Musik gefunden und wer schon an der Bühne war, dem steckte die Feierei vom Vortag noch in den Knochen. Aber alßt Euch gesagt sein: von dieser Kombo werden wir noch hören.

Es folgte eine Band aus dem Grenzgebiet zu Frankreich, genauer aus dem Großraum Saarbrücken. Die achtköpfige Gruppe nennt sich "Mia Risa" und spielt eine Art von Roots Reggae, der durch den Einsatz vieler Percussioninstrumente in einer sehr rhythmischen Interpretation 'rüberkommt. Für den typischen Rootsreggae fehlt jedoch ein Element, nämlich der Bläsersatz, was jedoch durch den Einsatz von Backgroundvocals wieder gut wettgemacht wird. Die Harmonies liefern drei Schönheiten mit dem Teint von Milchkaffee, nämlich die Mwangi-Schwestern. Nicht nur durch den Einsatz der drei Mädels, sondern auch durch die Wahl der Kleidung ist Mia Risa optisch ein Hingucken wert: allesamt versuchen sich die Musiker in afrikanischen Stoffen ästhetisch an ihren Sound anzupassen.

Zwei Musiker schienen mir anfangs nicht in das Bandkonzept zu passen, nämlich der Keyboarder und der Sänger. Beim späteren Nachfragen hat sich das dann aufgeklärt: der Tastenspieler hat gerade eine Woche vor dem Konzert von seiner alten Band "La Bouche", einem deutschen Danceact kommerziellster Art, zu Mia Risa gewechselt und muß sich noch komplett in den Sound integrieren. Und beim Sänger habe ich immer gedacht, peinlich, dieser Versuch, Patois zu singen und kläglich zu versagen. Es stellte sich heraus, daß dies kein Versuch sein sollte, Patois zu sprechen, sondern daß er in Griechenland Englisch gelernt hat und dieses nun mit hellenischem Akzent und Grammatik spricht und singt.

Der internationale Teil des Tages wurde eröffnet von den "Screaming Abdubs", der Name bedeutet im Englischen in etwa "durchdrehen" oder "verrückt werden", hier die offiziele Definition der Band: "from: Screaming (h)abdabs; a state of agitation, bordering on hysteria. Usually heard in the phrase 'it gives me (a case of) the screaming abdabs', it makes me extremely irritated, agitated". Die sieben Musiker stammen aus den Niederlanden, genauer, dem Großraum Amsterdam. Sie hatten Ende 1995 einen großen Rückschlag einzustecken, als sie bei der Rückkehr von einer Frankreichtournee einen Unfall mit dem Tourbus hatten und sich der Keyboarder Giesbert Nijhuis dabei drei Rückenwirbel brach und an der Verletzung verstarb. Fast drei Jahre danach hängt über der Band noch eine leichte Melancholie, aber in ihrer Musik ist der Verlust von Giesbert nicht mehr so stark zu hören, denn die Band hat mit dem Dub Creator einen musikalischen Ersatz gefunden.

Ursprünglich kommt die Gruppe aus dem Skabereich, was an einigen Stücken auch noch sehr gut zu hören war, sind heute aber eher eine Rootsband mit heavy Einflüßen aus dem Dubbereich. Das Keyboard spuckt phasenweise gar technoide Sounds aus, die stark an "Dreadzone", "Zion Train" oder vergleichbare Acts erinnern.

Live bieten die Abdubs von der gesamten Palette jamaikanischer Musik etwas. Angefangen von netten Covers, wie "Legalize It" von "Peter Tosh", natürlich begleitet vom obligatorischen Spliff, bis zu elektronischen Beats wird alles angeschnitten. Die Band liefert Songs mit nahtlosen Übergängen von Dub zu Ska zu Dancehall, das macht das Geheimnis ihres Sounds aus.

Gewürzt wird ihre musikalische Melange mit viel Percussion und zwei Mann an verschiedenen Blasinstrumenten und einer guten Portion Funk. Der Frontmann Maico hat eine sehr gute Reggaestimme und weiß mit seiner Art auf der Bühne schnell das Publikum mitzureißen und zu kontrollieren. Als er zur Zugabe als Clown auf die Bühzne kam und ein paar Faxen machte, hatte er nicht nur die Kinder im Zelt auf seiner Seite. Für mich waren sie die beste Gruppe des Festivals.

Dann wurde es draußen langsam düster und die Vibes drinnen wurden jamaikanischer und authentischer, denn "Natty Dread And The UFO Band" waren angesagt. Der Frontmann Natty Dread hat Bob Marley in seinen letzten Jahren als Weggefährte begleitet und so konnte es keinen verwundern, daß ein satter Teil des vorgeführten Programms aus Bob Marley Covers bestand.

Der Saal war voll, die Leute auch, der Appleton Rumpunsch tat seine Wirkung und die Stimmung war dementsprechend irie. Die Songs von der Band taten einen guten Teil dazu bei, daß bald im ganzen Zelt getanzt und geskankt wurde, Natty Dread und seine Band aus Ghana und den Niederlanden verbreiteten echte Partyvibes.

Und als dann der erste und einzige afrikanische Act auf die Bühne kam, war das Festivalzelt kurz vorm Kochen. "Osibisa", eine Legende in der Szene, seit fünfundzwanzig Jahren oder länger spielen sie in der Weltmusikszene eine Rolle, bei uns waren sie sogar eine Art von Wegbereiter für die vielen "exotischen" Bands, die nach ihnen kamen.

Es war lange ruhig um sie , ihre Alben gab es als billige Wiederveröffentlichungen und von Livekonzerten der Band habe ich lange nichts gehört. Letzteres habe ich auch den Abend bestätigt bekommen: seit vier Jahren der erste Gig überhaupt. Und da waren sie, die Legende aus den Siebzigern, zehn Leute, davon fünf Originale und sie rockten ab wie eh und je.

Oberdreis erlebte mit der Afrorockband Osibisa einen echten Höhepunkt. Das Publikum faßte schnell Feuer und tanzte, was die Füße nach bis zu drei Tabegen Festival noch hergeben wollten. Denn gut tanzbar ist die Musik dieser Protoethnoband: Afro, Soul, Rock, Funk, Jazz, alles zusammen gut aufgekocht und am Ende mit der einen oder anderen Nuance in ihren Songs fein abgestimmt. Einen richtigen Abräumer an das Ende des sechsten Bongo Bongo Sunsplash zu setzen, hat sich als gutes Rezept erwiesen, alle Besucher sind nach der Show bestimmt sehr zufrieden nach Hause gefahren.

Zum sechsten Mal gab es ein Festival, abseits vom Trubel, ohne große Megastars, dafür aber gemütlich, familiär und überschaubar. Und ich habe dadurch wieder gemerkt: ich interessiere mich lieber für die Rootsszene hier vor Ort, sprich, was für Bands nachwachsen, als ausschließlich für die Szene auf Jamaika. Hoffentlich sehen wir uns nächstes Jahr beim siebenten Mal, ich würde mich freuen.
 


Copyright: Dr. Igüz 1998