Hindukiller im Paradies der Neckermänner



 

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Kaya auf seinem Totenbett

 

Hindukiller
im Paradies 


der Neckermänner

Es ist zugegebenerweise
schon eine Zeit her, jedoch verlangt die Brisanz der Geschichte auch noch
nach Monaten, die Ereignisse aus dem Ferienparadies Mauritius im Indischen
Ozean der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ganz besonders und
gerade weil es sich um eine so dermaßen üble Ungerechtigkeit
handelt, daß es mir jedes Mal wieder kalte Schauer den Rücken
‘runterjagt, wenn ich an diese Story denke.

Was ist passiert,
das den Doktor so aufregt? Ende Februar dieses Jahres ist Kaya, das Idol
der Kreolen auf Mauritius im Polizeigewahrsam totgeschlagen worden. Es
folgten Unruhen in den Ghettos der Insel und in den darauffolgenden Tagen
starben noch mehrere Menschen während Kundgebungen in Protest über
den Tod des überaus beliebten Musikers.

Am 10. August 1960 als Joseph Réginald Topize am Stadtrand
von Port Louis, der Inselhauptstadt geboren, erblickte Kaya in ärmlichen
Verhältnissen das Licht der Welt. Aufgewachsen ist er im berüchtigten
Ghetto Roche Bois, in dem über 20 000 Kreolen in Sicht- und Reichweite
des Luxus vom pulsierenden Zentrum der Hauptstadt vor sich hin vegetieren.

Mit nur 14
Jahren gründete Kaya seine erste Band und kam schnell in Berührung
mit der Musik von Bob Marley und anderer Reggaemusiker. Der Effekt der
Musik und der durch sie transportierten Messages blieben nicht aus – Reggae
wird von Analytikern gerne als eine “schwarze Befreiungsphilosophie” bezeichnet
und genau diesen Input hatte der Einfluß der so fernen karibischen
Musik bei dem noch sehr jungen Musiker. Er beschäftigte sich mit Haile
Selassie, dem letzten offiziellen Kaiser von Äthiopien und gleichzeitig
für die Rastas die Personifizierung Gottes, er folgte den Sozialthesen
von Marcus Garvey und den Aussagen von Musikern wie Marley, Tosh und Burning
Spear. 

Sein Respekt
für Bob ging so weit, daß er seinen Künstlernamen von einem
der Alben des Idols entlieh und neben vielen eigenen Werken auch eine CD
mit zehn Bob Marley Songs aufgenommen hat. Die Texte der Songs des berühmten
Jamaikaners machten auf Mauritius genau so einen Sinn, wie an ihrem Ursprung:
ein unterdrückter Teil der Inselbevölkerung schert aus, eine
Befreiungskultur entwickelt sich und man besinnt sich auf seine afrikanischen
Wurzeln, zieht daraus Stolz, Selbstbewußtsein und Zusammengehörigkeitsgefühl.

Damit betrat Topize einen Weg, den schon viele vor ihm gegangen sind:
durch die analytische Erfahrung von Garvey erkannte er seine Situation
des Unterdrückten, die Verehrung von Ras Tafari brachte sein durch
die Jahre der Unterdrückung und des Elends abhanden gekommenes Selbstwertgefühl
zurück und die Songtexte der Reggaemusiker gaben ihm Rezepte und Wege
vor, wie sich Unterdrückte aus ihrer Situation wenigstens spirituell
befreien können – Joseph Réginald Topize wurde ein Rasta mit
dem Namen “Kaya”. 

Und damit fing der ganze Ärger an, denn Rasta steht gegen Unterdrückung,
gegen Gewalt und Ausbeutung, gegen Rassismus oder Gehirnwäsche – Rasta
ist Füreinander, Miteinander, Rasta ist Kreativität und Befreiung,
es ist die Rückbesinnung auf die Wurzeln in Afrika und Spiritualität
mit und durch Ganja, Rasta ist die spirituelle Kraft, die dem kleinsten
Glied einer Gesellschaft die Möglichkeit gibt, sich genau so irie
zu fühlen, wie ein Führer. Das war der Anfang von Kaya’s Ende….


 

Auf Mauritius herrscht eine Mehrheit von indischstämmigen Hindus
in mafiösen politischen Verhältnissen. Die Kreolen sind zwar
nicht mehr versklavt, wie noch vor einigen Jahrzehnten, dafür vollkommen
wirtschaftlich abhängig von der herrschenden Clique von Asiaten und
einigen europäischen Kapitalisten. Und ich sage Euch eins: aus der
Sicht solch Unterdrückter ist es egal, ob man noch Eisenketten an
den Gelenken trägt oder ob man ohne Zugang zum Geldsystem genau so
unfrei ist. Denn Transport, Unterkunft, Essen, Gesundheit und insbesondere
Ausbildung, der Schlüssel zu einem besseren Leben, wollen bezahlt
werden.


Cassam Uteem, Präsident von Mauritius

Genau so ist die Situation auf Mauritius – die meisten der Kreolen
sind entweder arbeitslos oder dümpeln als Tagelöhner vor sich
hin. Mitten drin Kaya, der durch seine Musik über die Jahre immer
populärer wurde und damit die Rastaphilosophie auf der Insel immer
weiter etablierte. Der Konsum von Ganja, oder “Zamal”, wie es dort heißt,
war ein weiteres Problem, denn die Inder wissen natürlich aus eigener
Erfahrung, daß das Kraut den Geist schärft, schließlich
wurde es von ihren Vorfahren selbst auf die Insel importiert. 



Über die Jahre wude der Einfluß Kayas durch seine Musik
immer größer, er hatte eine eigene Variante des Reggae, den
“Seggae”, eine Mischung aus Reggae und “Sega”, der Kreolenmusik geschaffen.
Währenddessen wuchs der Unmut in der kreolischen Bevölkerung
über Unterdrückung, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse
und die Kriminalisierung der Zamalraucher weiter und weiter. Kaya thematisierte
diesen Widerstand in seinen Songtexten und heiztedamit die Stimmung an,
denn die Menschen hörten ihm zu und folgten seinem Weg. 

Bald war der Musiker auch über die Strände der tropischen
Insel hinaus bekannt und spielte in Britannien und Frankreich vor vollen
Häusern. Aber das änderte nichts an der Situation der Kreolen,
nur Kaya konnte ein wenig besser leben, hat dadurch jedoch nie die Verbindung
zu seinen Wurzeln gekappt. Im Gegenteil, er machte mit seiner Musik die
Kreolen stolz auf ihre Lebensweise, auf ihre Geschichte als ehemalige Sklaven,
als Überlebende alter afrikanischer Kulturen. 

Mit ihrem wiedergewonnenen Selbstwertgefühl begannen die Kreolen
sich für ihre Ziele einzusetzen und diese auf die Straße zu
tragen. Zu ihren Themen gehört auch die Entkriminalisierung der Zamalraucher
auf Mauritius. Als Kaya es sich erlaubte, auf einer Veranstaltung der oppositionellen
Republikanischen Partei sich für die Legalisierung von Ganja einzusetzen
und dort gar einen Joint öffentlich rauchte, war es mit der Geduld
des Hinduregimes vorbei. 


 

Am Morgen nach dieser politischen Veranstaltung wurde Kaya in seinem
Haus verhaftet, obwohl bei einer Durchsuchung seiner Hütte nicht ein
Molekül des offensichtlich so gefährlichen grünen Krautes
gefunden werden konnte. Es sollte das letzte Mal sein, daß ihn seine
Freunde lebendig gesehen haben. Die Tore des berühmt-berüchtigten
Knastes von Port Louis, im Volksmund “Alcatraz” genannt schlossen sich
hinter ihm und gaben nur den Sarg mit seinem Leichnam wieder frei, nachdem
die Polizei ihr blutiges Schlachterhandwerk hinter den Gefängnismauern
getan hat. Die Totschläger in Uniform – bei den Rastas übrigens
auch gerne “legalized murderer” geschimpft – übergaben Kayas sterbliche
Überreste seiner Frau ohne ein Wort der Erklärung, der Entschuldigung
oder des Beileids.


Kayas Frau Dalida Topize

Das Leiden der Kreolen hat eine lange Geschichte und hat ihre Persönlichkeit
so tief gepträgt, daß sie denken, daß sich in ihnen alles,
was schlecht ist, vereint: sie sind arm, schwarz und katholisch. Genau
das wollte Kaya ändern un d war auf dem besten Weg dazu den Kreolen
ihre “Kreolité”, ihre Würde und ihr Selbstwertgefühl zurückzugeben,
genau so wie einst Senghor mit der “Nègritude” Schwarzafrikanern
nach Beendigung des Kolonialismus das Selbstbewußtsein und die Identität
gestärkt hat.


 



Berger Agathe
Nicht nur Kaya durfte mit dem höchsten Preis – seinem Leben
– dafür zahlen. Sein Tod zog Unruhen der gesamten kreolischen Bevölkerung
auf Mauritius nach sich und die herrschende Clique von Hindus schlug mit
extremer Härte zurück. Erst haben nur die Mütter die Bullen
beschimpft, dann flogen Steine und Molotow-Cocktails gegen Cop-Shops. Am
Eingang von Kayas Heimat, dem Ghetto Roche Bois, begannen die Bullen dann
anstelle mit Tränengas, mit Schrotpatronen auf die wütende Menge
zu schießen. Das erste Opfer war Berger Agathe, ein enger Freund
Kayas, dessen Körper von einer Gewehrasalve durchsiebt wurde und der
wenige Stunden später im Krankenhaus verstarb. 

 

 

Während Kayas Leichnam in einer langen Prozession zu Grabe
getragen wurde, gerieten Bullen in Panik und eröffneten das Feuer
auf den Trauerzug. Dabei wurden viele Menschen verwundet und ein 22jähriger
erlag kurze Zeit später seinen Verletzungen. Was darauf folgte war
das Chaos: Anschläge auf Banken, Supermärkte, Bullenwachen und
Restaurants, Plünderungen von Geschäften – burning and looting
– mit einem Gabelstapler wurde das Portal eines Knastes aufgestemmt, 250
Knackies entkamen – set the captives free – Hindutempel wurden Opfer der
Flammen – I feel like bombing a church.


Kayas Trauerprozession

Den reichen
Hindufamilien kochte das Wasser im Arsch – die Kreolen sind in ihren Augen
eh nur minderwertiges Pack, Kastendenken pur – sie wollten die Aufrührer
in ihre Schranken zurückweisen und zeigen, wer “Herrscher im Paradies”
ist. Einige hundert maskierte Hindus suchten gezielt die Kreolensiedlungen
auf der Insel aus, steckten dort die Häuser in Brand, zertrümmerten
mit Äxten und Stöcken die paar Luxusgegenstände, die vorhanden
waren und brüllten eindeutige Parolen, wie wir sie aus dem Dritten
Reich oder rezent auch aus dem Kosovo kennen, nur daß es gegen Kreolen
und Rastas ging. Das Ergebnis des wildgewordenen Hindumobs waren über
siebzig zerstörte Häuser und viele Verletzte, natürlich
nur auf kreolischer Seite. 



Nach dem Exzess der Gewalt zog einer der Kreolensprecher, Mario
Flore, Resumée: “Was sollen wir unseren Bürgern jetzt noch
sagen? Zu Hause bleiben und ins Gras beißen? Oder auf die Straße
gehen und sich abschießen lassen?” Flore entschloß sich, die
US-Botschaft um Hilfe zu bitten, denn der Polizei und Regierung von Mauritius
sei nach diesen Ereignissen nicht mehr zu trauen. Seiner Bitte um die Stationierung
von US-Truppen wurde – leider oder glücklicherweise – nicht entsprochen.

Nachdem die Lage sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, begann
das “demokratische” System mit den Verhaftungen derer, die für Krawalle
und Plünderungen verantwortlich sind – 150 Kreolen sind im Knast –
die Drahtzieher der Hinduattacken sind zwar allgemein bekannt, erfreuen
sich aber nach wie vor an ihrer Freiheit – Jah will punish you. Mir fallen
dazu nur die Songs von Haile Selassie ein, die er vor den UN gea´ßert
hat und die Bob Marley in seinem Song “War” sehr treffend zitiert: “Until
the color of a man’s skin is of no more significance than the color of
his eyes, there’s a war…”


 


Copyright: Dr. Igüz 1999

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