Eine Woche früher als im Vorjahr, vom 17. bis 19. August 2007 fand in Übersee am Chiemsee in Bayern zum 13. Mal der Chiemsee Regae Summer statt. 22000 Besucher kamen, damit fast 5000 mehr als im Vorjahr, um die traditionelle Lederhose der Ureinwohner des kleinen Dörfchens im Voralpenland phantasievoll mit bunten Klamotten, meist in den traditionellen Reggaefarben rot, gelb und grün zu kontrastieren. Um die 40 Bands traten in den drei Tagen auf der Haupt- und der Zeltbühne auf und ganz traditionell wurde wieder über den Tellerrand des Genre Reggae geschaut und auch elektronisch- und hiphop- ausgerichtete Acts waren zu sehen.
Die Hauptbühne war hoch, so ausgelegt, daß auch mehr als 10000 Leute noch etwas sehen konnten, wohingegen die Zeltbühne bei mehreren Hundert Leuten drohte, aus allen Nähten zu platzen. Los ging das Festival eigenlich schon am Donnerstag mit der Veranstaltung “Chiemsee bei Boot”, dieses Jahr mit Jamaram. Es muß für die Teilnehmer ein echt cooles Erlebnis gewesen sein, das schöne Panorama von See und Bergen mit den Sounds von Jamaram untermalt zu bekommen.
Wettermäßig war es eher durchwachsen und auch die unmodernsten und klobigsten Gummistiuefel erfreuten sich plötzlich großer Popularität. Nur während des Auftrittes von Mono und Nikitaman brach während ihres Tunes “Solang die Sonne scheint ist alles gut” die Wolkendecke auf und die Sonne zeigte sich für ein paar Minuten. Im Programm waren eine Menge neue Tunes, wie “Zu viele dicke Kinder und zu wenig dicke Beats, zu viele dicke Autos und Titten auf MTV…”. Die beiden Künstler machten der bayrischen Massive mit ihrem Lied „Gras ist legal“ Mut und Hoffnung auf eine baldige Änderung der Gesetzlage, bzw. einer Entkriminalisierung der Konsumenten, auch in Bayern. Insgesamt hat das Duo wieder einmal einen guten Set abgeliefert und die ca. 10000 Zuschauer fest im Griff gehabt.
Gegen Mitternacht kam dann noch mal Roots Reggae an die Reihe, ein Künstler, der auf keinem Reggaefestival zu fehlen scheint und fraglos mit seiner Band auch ein phantastisches Programm spielt, bei diesem Set gar eine Reggaeversion von Pink Floyd’s “Wish You Were Here”. Wenn seine Consciousness auch eher fragwürdig ist – ich will mich nicht schon wieder über seinen Set von Perücken, die wechselweise sein kahle Haupt zieren, auslassen.
Mitten in der Nacht gab es dann noch einmal Germanisches mit Ganjaman feat. Junior Randy, ein Konzert, das wieder einmal gute Musik und fanatstische Lyrix gefaetured hat. Junior Randy sang, wie gewöhnlich die Harmonies und Ganjaman wäre nicht Ganjaman, wenn er nicht einem unbekannten Künstler etwas von seiner Bühnenzeit abgetreten hätte, dieses Mal präsentierte er der Massive Ephrahim Judah (mehr Infos unter http://www.myspace.com/ephraimjudah).
Babylon Circus sind zehn explosive Franzosen, die eine Mischung aus Reggae, Ska, Polka und Rock machen und dem Publikum wieder einmal eine grandiose Party mit viel Sounds aus Blechinstrumenten geboten haben. Big Up an den explosiven Set aus dem Land der Froschschenkelkonsumenten.
Dann ging es Schlag auf Schlag mit den Größen der Offbeatmusic, Jah Mason kam als Ersatz für Freddie McGregor, hatte auch eine Menge guter Tunes im Programm, konnte aber trotzdem nicht überzeugen, insbesondere diejenigen, die sich auf Freddie mit seinem soften, traditionellen Roots gefreut hatten.
Anschließend bestieg der Dauerbrenner und very special Guest der großen deutschen Reggaefestivals die Bühnenbretter: Gentleman aus Köln, auch er gereift, wahrscheinlich durch den Streß des nie endenden Showbiz. Headliner zu sein ist nun mal anstrengend und hinterläßt Spuren.
Auf der Zeltbühne ging das Programm samstags gegen 15 Uhr mit Medassi aus dem niederbayerischen Landshut los. Die Rootsband brachte eine souveräne Show mit abwechselnd weiblichem und männlichem Gesang, choreographisch ausgefeilt, wenn auch teilweise zu theatralisch, bspw. wenn sie sich mit dem Rücken zum Publikum drehen. Trotzdem ist die Band nach Meinung einiger das beste, was Bayern live derzeit an Reggae zu bieten hat.
Germanisch ging es weiter, als der Ex-Punk Sebastian Sturm, der von einigen als “Reggaesensation des Jahres (2007)” bezeichnet wurde, seinen Auftritt hatte und das Publikum hoffentlich mit seinen Roots überzeugen konnte, daß er mit dem Jahreswechsel kein Verfallsdatum überschreitet.
Mit Deichkind gings erst richtig ab. Die Band brachte artverwandte Sounds aus Hip Hop und Elektro, vielleicht am ehesten als eine Art 80-er Jahre Elektro Party Musik beschreibbar. Das Zelt platzte aus allen Nähten, die Seiteneingäge waren geschlossen und am Mitteleingang drängte sich eine grosse Menschenmenge. Die Leute waren vom ersten Moment an fast am ausrasten. Ramba Zamba von den Musikern und das in grellem Outfit und irren Kostümen, der Bassist springt z.B. während des Spiels auf dem Trampolin rum, alle ständig in Bewegung, kaum zu glauben, daß sie dabei noch Musik machen können. Nachdem die Fotografen den Bühnengraben geräumt hatten, gingen gleich die Musiker von Deichkind rein. Die Ordner hatten alle Hände voll zu tun: ständig wurden Leute vorne rausgezogen, fitte Crowdsurfer mußten wieder ins Zelt gelangen, halb Ohnmächtige durfen an der Seite raus an die frische Luft zu den helfenden Sanies. Irre! Ward 21 werden als Party Truppe beschrieben: nee Leute, auf der Partyskala von 1 bis 10 lagen Ward 21 auf dem Chiemsee Reggae Festival bei 1 und Deichkind bei 123.
Es folgten dann noch, eigentlich schon mitten in der Nach Elijah Prophet und Les Babacools, bevor zwischen drei und vier Uhr Morgens auch im Zelt endlich Schicht war.
Es gab glücklichewrweise keine Verletzten, aber dafür ne Menge Hubschrauber, Sirenengeheul und Umleitungen der Menschenmassen vom Camping und vom Parkplatz.
Nach Sunrise Tribe folgte auf der Hauptbühne ein weiterer aus Germanien aufstrebender Sänger mit asiatischen Genen: Martin Jondo, der mit seinem coolen, lässigen, poppigen Rootsreggae das Publikum unterhielt und sich auch gleich unter die Massive mischte. Er hatte Glück, denn kurz nach Ende seines Auftittes gab es einen Wolkenbruch, der das Gelände innerhalb kurzer Zeit in den gleichen Zustand versetzte, in der es schon am Freitag mal war. Sergent Garcia, der nachfolgende Act hatte aher eher mit knappem Publikum, das im matschigen Boden zu versinken drohte, zu kämpfen. Bei den Hip Hoppern Blumentopf aus München brach die Wolkenschicht zwar noch mal auf, aber viele Leute hatten sich aufgrund der widrigen Wetterverhältnisse zum Zeltabbau, auf den Heimweg oder zur Zeltbühne gemacht. Too bad, denn es folgten noch drei wirkliche Reggaeveteranen, die an Größe und Erfahrung kaum zu übertreffen sind. Es spielte King Yellowman, der als Meister der Slackness und Lehrmeister für eine ganze Generation jamaikanischer MCs gilt. Max Romeo, der musikalisch den Teufel von der Erde gejagt hat, um im Weltall sein Unheil zu verrichten, ist den Rootskennern natürlich ein Begriff. Aufgewachsen ist er in den Gettos Jamaikas in bitterster Armut, bevor er sich mit seinem Gesang einen Unterhalt verdienen konnte. Seine Lebenserfahrungen merkt man ihm an, er hat Charisma und es ist eine Freude, seine alten Hits, wie “Chase The Devil” oder “War Inna Babylon” live on stage zu erleben. Und das nach wie vor voller Power und nicht als alternder Reggaeopa.
Zeltbühne am Sonntag: Da waren wieder eine Menge teutonische Acts versammelt: I-Fire, Martin Zobel, Ohrbooten, Yellow Umbrella. Aber auch Veteranen, wie Rico Rodriguez mit Soulfood Int, die schon Dr Ring Ding gebackt hatten oder unbekanntere Acts, wie Irie Revoltes oder Sunshiners, die dort dem Publikum ihr Programm vorstellen konnten. Erwähnens- und lobenswert ist zum Abschluß, daß die Veranstaltercrew des Chiemseereggaes kritische Anregungen immer wieder neu in ihr Konzept einbaut und so die Planung, der Ablauf und die ganze Logistik des Festivals immer besser werden.
Nicht so schön ist beim Chiemsee Reggae Summer der immer wieder zu beobachtende hohe Pegelstand an Alk bei den Besuchern, da kann auch das Image als traditionelle Biertrinkernation nicht mehr entschuldigend wirken. Soche Leute sollten doch besser auf Metal oder Rockkonzerte gehen, da paßt das besser, aber dieses Problem kann man natürlich nicht demVeranstalter anlasten. Auch wenn die Polizeipräsenz am Bahnhof Übersee dieses Jahr unter der des Vorjahres lag, wurden wieder Einsätze/Übergriffe beobachtet, die schon am Münchner Hauptbahnhof begannen, nach den Kriterien “Farbige zuerst, dann nach der Länge der Haare und der Farbenprächtigkeit der Kleidung”. Liebe Polizei, nicht jeder Mensch ist gleich und liebt Uniformität in Aussehen und im Konsum seiner persönlichen Rauschmittel. Schön wäre es, wenn ihr nächstes Jahr einfach mal wegschauen würdet.
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