RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 05.01.06

ERDGESCHICHTE

Erwärmung ließ

Meereskreislauf kollabieren

Von Markus Becker

Die globale Erwärmung

könnte das Weltklima abrupt kippen lassen. Untersuchungen des Meeresbodens

haben ergeben, dass steigende Temperaturen vor Millionen Jahren schon einmal

die Strömungen der Ozeane durcheinander gebracht haben. Grund für

die Hitzewelle: Treibhausgase.

Es ist eines der bekanntesten

Szenarien der Klimaforschung: Die globale Erwärmung lässt das

Eis an den Polen schmelzen und sorgt für stärkere Niederschläge.

Immer mehr Süßwasser gelangt in die Ozeane und bringt so den

Golfstrom ins Stottern: Er basiert darauf, dass schweres, salziges Wasser

im Norden in die Tiefe sinkt und nach Süden abfließt, während

wärmeres Wasser aus dem Süden nach Europa und Nordamerika kommt

und dort für milde Temperaturen sorgt. Versiegt der Golfstrom, bibbern

Europäer und Nordamerikaner unter einer Kältewelle.

Dieser Effekt, im Hollywoodfilm

“The Day After Tomorrow” drastisch ins Bild gesetzt, ist für die Erde

nichts Neues: Vor 55 Millionen Jahren kam es schon einmal zu einem starken

Anstieg des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre, wahrscheinlich aufgrund

von vulkanischer Aktivität. Die Erwärmung setzte vermutlich am

Meeresboden gefrorenes Methan frei, was die Temperatur noch schneller klettern

ließ. Das Resultat: Die Ozeane erwärmten sich im Schnitt um

6 bis 8 Grad.

Die Folgen waren katastrophal

für die Wasserzirkulation in den Ozeanen, wie eine Studie von US-Forschern

jetzt bestätigt: Der Transport von warmem Wasser aus südlichen

in nördliche Regionen sei abrupt zum Erliegen gekommen, schreiben

Flavia Nunes und Richard Norris von der kalifornischen Scripps Institution

of Oceanography im Fachblatt “Nature”. Innerhalb von nur 5000 Jahren habe

sich die Strömung umgekehrt. Anschließend habe es volle 100.000

Jahre gedauert, ehe das ozeanische Fließband zum ursprünglichen

Zustand zurückgekehrt sei.

Zusammenhang zwischen Temperatur

und Strömung

Schon zuvor waren mehrere

Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Meereszirkulation vor rund 55

Millionen Jahren einen drastischen Wandel durchlaufen hat. Fraglich blieb

jedoch, wie genau sich die Strömungen verändert haben. Nunes

und Norris haben die versteinerten Schalen winziger Organismen, sogenannter

Foraminiferen, aus der Tiefsee geholt und chemisch untersucht.

Die Wissenschaftler analysierten

insbesondere das Verhältnis des Isotops Kohlenstoff-12 zu Kohlenstoff-13.

Organisches Material von toten Lebewesen, das aus den oberen Wasserschichten

herabsinkt, enthält tendenziell mehr Kohlenstoff-12 als Kohlenstoff-13.

Wenn Wasser durch einen tiefen Teil des Meeres fließt, reichert es

sich daher stärker mit Kohlenstoff-12 an. Der chemische Vergleich

von Foraminiferen unterschiedlicher Fundorte lässt daher Rückschlüsse

darüber zu, wo Tiefseeströmungen existiert haben.

Als die Wissenschaftler nun

die Zusammensetzung der Schalen von 14 Orten im Atlantik und Pazifik verglichen,

stellte sich heraus, dass es in der Zeit der globalen Erwärmung vor

55 Millionen Jahren zu einer abrupten Umkehrung der Tiefseeströmungen

gekommen war. Ein Zusammenhang sei kaum von der Hand zu weisen.

Klimaforscher reagieren zunehmend

alarmiert auf die immer zahlreicheren Hinweise, dass schon bald eine Neuauflage

dieses Geschehens drohen könnte. Erst im November wurde eine Studie

veröffentlicht, der zufolge sich der Golfstrom bereits stark abgeschwächt

hat (mehr…). Und die klimatischen Verhältnisse in der Zeit vor 55

Millionen Jahren ähnelten den heutigen: Auch damals kam es zu einem

allmählichen Anstieg der globalen Temperaturen durch mehr Kohlendioxid

in der Atmosphäre.

Allerdings gibt es auch einen

wichtigen Unterschied zur heutigen Zeit, den Nunes und Norris in ihrem

“Nature”-Artikel nicht erwähnen: Die Konfiguration der Kontinente

sah vor 55 Millionen Jahren deutlich anders aus als heute. Zwischen Nord-

und Südamerika klaffte noch eine riesige Lücke, und das heutige

Mittelmeer war nach Osten weit zum Indischen Ozean geöffnet. “Die

Tiefsee-Strömungen sahen damals ganz anders aus als heute”, sagt Frank

Lamy vom Geoforschungszentrum Potsdam im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Erde sah vor 55 Millionen

Jahren anders aus

So sei entlang des Äquators

viel mehr Wasser geflossen, während der sogenannte Antarktische Zirkumpolarstrom

noch gar nicht existiert habe. Er verbindet auf der Südhalbkugel den

Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean miteinander und ist für

das heutige globale Wasser-Förderband von entscheidender Bedeutung.

Auch die Tiefwasserbildung

im Norden hat es vor 55 Millionen Jahren noch nicht gegeben, betont Lamy.

Wo heute kaltes, salzhaltiges Wasser in die Tiefe sinkt und den Golfstrom

antreibt, umschwappte damals nur eine Flachsee die noch existente Landverbindung

zwischen dem heutigen Britannien, Island und Grönland. “Deshalb ist

es fraglich, inwiefern die Meeresströmungen in der Zeit vor 55 Millionen

Jahren auf die heutigen Verhältnisse übertragbar sind”, bemerkt

der Geologe.

Dennoch gebe es an dem generellen

Zusammenhang zwischen globaler Erwärmung und der drastischen Veränderung

der Tiefseeströmungen “keinen Zweifel”. Lamys US-Kollege Norris räumt

zwar ein, dass niemand wisse, wo genau die Schwelle für ein erneutes

Umkippen der Strömungen liege. Als “beängstigend” bezeichnet

er aber, dass die ozeanische Wärmepumpe beim letzten Mal rund 100.000

Jahre brauchte, um wieder normal zu funktionieren. “Wenn sich die Strömung

wieder drehen sollte, könnte es sein, dass wir eine lange, lange Zeit

mit dieser Veränderung leben müssen.” 

 

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