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FAZ
online 15.03.07 Klimawandel – Die Diktatur des guten Gewissens Von Christian Geyer Die Klimadebatte droht zu kippen. Immer mehr falsche Töne schleichen sich ein. Eine Verteidigung des Klimas gegen seine Liebhaber tut not. Es ist mit dem Klima momentan nämlich ein bisschen so wie mit Thomas von Aquin oder wie mit den Hunden: Um Thomas und die Hunde zu lieben, muss man sie vor den Thomisten und den Hundehaltern verteidigen. Gerade wenn man mit all seinem Herzblut am Klima und seinem Schutze hängt, gerade wenn man es faszinierend findet, wie jahrzehntelang behauptete Sachzwänge auf einmal als fadenscheinig dastehen, wie der Autoindustrie Beine gemacht und der Flugzeugverkehr vor den Steuern zittert – gerade dann, wenn man all das richtig findet, muss man aus gegebenem Anlass jetzt einmal laut und deutlich rufen: Halt! Es läuft etwas schief bei der Rettung der Welt! Was nutzt es uns, wenn wir das ganze Weltklima gewinnen, dafür aber Schaden erleiden an unserem geistigen Klima? Leben als Energiesparprojekt Wer sein Klima liebt, wird es beispielsweise unbedingt vor Alexa Hennig von Lange schützen wollen, Schriftstellerin aus Hannover, die momentan als Klimaliebhaberin und öffentliches Gewissen auftritt. Unter ihrem Blick wird die Welt eine gigantische Kantine, in der Alexa Hennig von Lange die Portionen ausgibt. Unter der Überschrift „Mein neues grünes Leben“ beschreibt sie im „Stern“, wie sie in ihrem Alltag der Klimakatastrophe entgegenwirkt, wie sie – aus Einsicht in den vergangenen warmen Winter klug geworden – neuerdings ihr ganzes Leben, vom Einkaufsbummel bis zum Telefonieren, mit methodischer Gründlichkeit einer energetischen Buchhaltung unterwirft. Im Stil einer Konvertitin, die den Sinn des Daseins gefunden hat und sich selbst nun dringend zur Nachahmung empfiehlt, entwirft sie ihr Leben als Energiesparprojekt neu. Eine Weltsicht entsteht, in der alles mit allem zusammenhängt, in der die Verantwortung grenzenlos ist, Kausalketten durch nichts und niemanden unterbrochen werden und der Globus zu einem durchnummerierten, von jeder Mahlzeit aus beeinflussbaren Klimaraum wird. Aus der Tatsache, dass sich alles in Emissionswerte umrechnen läßt, spricht die Verheißung einer vollkommenen Verstehbarkeit: „Wenn“, schreibt Alexa Hennig von Lange, „ich am Tag nur 50 bis 80 Gramm Fleisch zu mir nehme, bedeutet dies, dass ich pro Jahr auf 580 Kilogramm CO2 komme.“ Dies bedeutet es. Bedeutung ist messbar, bis auf Zehntelstellen hinterm Komma genau. Endlich werden Biographien zurechenbar, endlich hört, was Ursachen und ihre Folgen betrifft, das ergebnislose Stochern in Ambivalenzen auf: „Dazu kommt, dass eine Milchkuh mit ihren Rülpsern beim Wiederkäuen pro Jahr 114 Kilogramm des schädlichen Treibhausgases Methan verursacht.“ Also weg mit den Kühen? Weg erst einmal mit unseren täglichen fünfzig bis achtzig Gramm Fleisch. Danach sehen wir weiter. Keine Bananen aus Hannover So scheint der Gesichtspunkt gefunden, unter dem das Leben zu einer Einheit zusammenwachsen kann. Alexa Hennig von Lange bekennt sich zu einer Epistemologie des Randständigen, die nichts dem Zufall überlässt. Erst recht nicht den Blattsalat. „Der – trotz Ökosiegels – leider aus Spanien kommt“, schreibt sie, während sie die „Stern“-Leser im Detail am Einkauf einer wiedergeborenen Klimaliebhaberin teilnehmen lässt. „Im Bioladen kenne ich mich aus. Allerdings merke ich sehr schnell, dass ich viele Lebensmittel, die ich sonst einkaufe, heute liegenlasse. Zum Beispiel meinen ayurvedischen Glücks-Tee. Leider ist der nämlich kein Erzeugnis aus Hannover, sondern stammt aus Amsterdam. Das Gleiche gilt für die Bananen. Sie kommen von noch weiter her. Der Salat wurde – wie wir jetzt wissen – in Spanien geerntet, ebenso die Tomaten. Bei den Paprikaschoten gucke ich schon gar nicht mehr hin. Also kaufe ich Möhren, Äpfel, Gurken, Radieschen und Kartoffeln. Irgendetwas wird mein Mann schon daraus machen können. Zusätzlich nehme ich noch eine Dose mit geschälten Tomaten mit. Die wurden zumindest in Deutschland befüllt. Das freut mich sehr.“ Mich nicht. Ich empfinde, wenn ich mich in Alexa Hennig von Langes Bioladen versetze, etwas sehr Zwiespältiges. Denn ich kann mir sehr gut vorstellen, wie es an ihrer Seite in diesem Bioladen zugeht. Jeder schaut jedem kontrollierend über die Schulter, ob nur ja das Richtige gekauft wird. Ein Blockwartdenken erfüllt den Raum, der Kassierer stellt in der Rolle einer metaphysischen Instanz die Quittung aus „für alle meine Umweltsünden, die ich gedankenlos begehe“ (Alexa Hennig von Lange). Man möchte niemandem zu nahe treten, aber die Frage ist doch die: Haben wir das wirklich gewollt, als wir den Klimaschutz wollten? Im Moment ziehen, was diese neue monistische Weltsicht angeht, Politik, Medien und bekennende Klima-Konvertiten auf beunruhigende Weise an einem Strang. Hier ist ein totalitär ausgreifende Projekt im Anmarsch, eine Diktatur des guten Gewissens, die den dringend gebotenen Klimaschutz zur Erlösungsidee verkehrt und so auf ganz und gar unpolitische Weise seine Verniedlichung betreibt. Hier schießt alles zusammen, was den „Simplify your life“-Gedanken gemeinhin so attraktiv macht: Planungsphantasien, Erlösungsbedürfnisse und die Idee, die Welt vom Zipfel des Merkzettels aus zu reformieren. Da schlürf’ ich lieber meinen Glückstee weiter.
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