RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Spiegel online 21.02.07

UNO-KLIMARAT

Menschheit muss Trendwende bis 2020 schaffen

Von Volker Mrasek

Nur gigantische Investitionen und

ein radikaler

Politikwechsel können den Klimakollaps noch abwenden. Bis 2020

muss die

Trendwende geschafft sein – das ist nach Informationen von SPIEGEL

ONLINE die alarmierende Analyse des Weltklimarats. Die Uno-Experten

sagen, was getan werden müsste.

Es geht um 16 Billionen Dollar – Sie lesen schon

richtig.

16.000.000.000.000 Dollar sollen bis 2030 vornehmlich in CO2-arme

Technologien gesteckt werden. Diese gewaltige Summe veranschlagen die

Forscher des Weltklimarats der Uno als Kosten für jene

Vollbremsung,

welche die Menschheit noch vor dem Klimakollaps retten kann.

Die Katastrophe lässt sich noch verhindern. Doch

die Zeit ist knapp.

Das ist die Botschaft, die der dritte Teil der 2007er-Studie des

Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) enthalten wird.

Anfang Mai wollen die Uno-Experten zunächst eine

Zusammenfassung des

mehr als 1000 Seiten starken Konvolutes in der thailändischen

Hauptstadt Bangkok vorstellen. Erstmals gehen sie in ihrem neuen Report

detaillierter auf unterschiedliche Sektoren der Wirtschaft ein – und

bewerten spezifische Reduktionsmaßnahmen. Eine vollständige

Entwurfsfassung, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, zeigt, dass die Experten

darin niemanden gut wegkommen lassen:

  • Nicht nur die Industrie-, auch die

    Schwellenländer stecken längst

    im großen Umfang hinter dem Anstieg des

    Treibhausgas-Ausstoßes.

  • Verkehrs- und Energiesektor haben diese Entwicklung

    im ganz besonderen Maße vorangetrieben.

  • Die Weltgemeinschaft dürfe sich nicht mehr nur

    auf klimaschädliches

    Kohlendioxid (CO2) konzentrieren. Stattdessen müsse eine

    “Multi-Gas-Strategie” auch die Zunahme von Methan, Lachgas und anderer

    Treibhausgase in der Atmosphäre eindämmen.

Der Vorteil an letzterem Punkt: Damit seien “Klimaziele

flexibler

und bei substanziell niedrigeren Kosten zu erreichen als mit reinen

CO2-Strategien”, bilanziert das IPCC.

Damit sind nicht mehr bloß Autos und Kraftwerke

im Fadenkreuz der

Klimaforscher, Diplomaten und Politiker. Methan und Lachgas stammen zu

einem Großteil aus Viehhaltung, Nassreisanbau beziehungsweise

Stickstoffdüngung in der Landwirtschaft. Wenn sie stärker

reduziert

werden sollen, sind insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer

in

der Pflicht.

US-Pläne zu Geo-Engineering abgekanzelt

Doch auch die USA werden wohl nicht gut auf die

Verantwortlichen der

IPCC-Arbeitsgruppe III zu sprechen sein. Die britische Zeitung

“Guardian” berichtete kürzlich, dass sich die USA als Land mit dem

höchsten Treibhausgas-Ausstoß für das sogenannte

Geo-Engineering stark

gemacht haben.

Darunter sind technokratische Konzepte im Kampf gegen

die globale Erwärmung zu verstehen, zum

Beispiel der gezielte Eintrag von gigantischen Mengen Schwebstaub in

die Erdatmosphäre, um einfallendes Sonnenlicht zurückzuwerfen.

“Die

Sonneneinstrahlung zu modifizieren könnte eine bedeutende

Strategie

sein, falls die Vermeidung von Emissionen aus dem einen oder anderen

Grund scheitert” – dieser Satz war laut “Guardian” ein Wunsch der

US-Regierung für den dritten IPCC-Teilreport in diesem Jahr.

Die Uno-Sachverständigen zeigten sich von derlei

Ansinnen

offenbar aber unbeeindruckt. Unter dem beiläufigen Punkt

“Weiteres” im

Entwurf ihrer Zusammenfassung verwenden sie zweieinhalb dürre

Zeilen

auf die Pläne der US-Technokraten: “Möglichkeiten des

Geo-Engineerings

bleiben weitgehend spekulativ und unkalkulierbar in ihren Kosten.”

Außerdem seien mögliche Nebeneffekte der

großtechnischen Eingriffe in

den Strahlungshaushalt unbekannt. Nicht einmal die Empfehlung aus den

USA, wenigstens die Risikoforschung auf diesem Feld voranzutreiben,

findet sich im Berichtsentwurf.

Nur noch Zeit bis 2020

Die Analyse der Forscher: Nur wenn die Menschheit den

Ausstoß von

Klimagasen eiligst drosselt, könnte sie die schlimmsten Folgen des

Klimawandels noch abwenden. Industrie- und Schwellenländer haben

nicht

mal mehr 15 Jahre Zeit für eine nachhaltige Trendumkehr beim

Treibhausgas-Ausstoß. Spätestens bis 2020 muss das fossile

Zeitalter

seinen Zenit überschritten haben – sprich, der Ausstoß von

Klimagasen

dürfte nicht mehr von Jahr zu Jahr steigen, sondern müsste

substanziell

abnehmen.

Den Forschern zufolge sollte die CO2-Konzentration in

der Atmosphäre

auf einem Niveau von höchstens 420 Anteilen pro einer Million

Luftmoleküle (ppm) stabilisiert werden. Aktuell beträgt

dieser Wert

aber schon 383 ppm, und jährlich kommen aktuell weitere 2,5 hinzu.

Die

Warnung des Weltklimarats: Die Zielmarke ist “nur in den stringentesten

Szenarien” noch zu erreichen – und damit ein Stopp der globalen

Erwärmung bei maximal zwei Grad Celsius (verglichen mit

vorindustrieller Zeit).

Ein Überschreiten dieser Temperaturschwelle muss

nach Ansicht vieler

Klimaforscher vermieden werden, weil die Folgen des globalen Wandels

dann unbeherrschbar würden.

Die IPCC-Autoren zitieren sogar Studien, nach denen die

CO2-Emissionen schon 2015 zurückgehen müssen, damit die

Temperatur im

Laufe des Jahrhunderts nicht über zwei Grad Celsius Plus

hinausschießt.

Das tolerierbare Höchstniveau für Kohlendioxid wird in diesen

Arbeiten

mit 400 ppm angegeben – und damit noch niedriger. Die Autoren der

insgesamt sechs Studien nennen Werte zwischen 48 und 86 Prozent, um die

der Klimagasausstoß bis 2050 im Vergleich zum Jahr 2000

gedrosselt

werden müsste. Knapp die Hälfte – oder mehr als vier

Fünftel? Das ist

ein gewaltiger Unterschied. Doch in ihrem Entwurf enthalten sich die

IPCC-Autoren überraschend einer Bewertung und sprechen nur vage

von

Emissionsreduktionen “über 50 Prozent”, die bis 2050 nötig

seien, um

die Kurve noch zu kriegen.

Gegenwind für Luxusschlitten

Auch der deutschen Autoindustrie wird der dritte

IPCC-Bericht

weiteren Gegenwind verschaffen. Seit Wochen wehrt sich diese vehement

gegen scharfe gesetzliche Limits für den CO2-Ausstoß von

Pkw, wie die

EU-Kommission sie vorgeschlagen hat. Der neue Klimareport unterstreicht

nun, dass die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs “schneller gestiegen

sind als in jedem anderen Energieverbrauchssektor”. 2004 waren sie mehr

als doppelt so hoch wie noch 1970. Den weitaus größten

Anteil an diesem

Trend hatte der Autoverkehr: rund 75 Prozent. Deutlicher geht es kaum.

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