Von
Joachim Hoelzgen
Kolumbianische
Kokainkartelle erobern das westafrikanische Guinea-Bissau. Drogenfahnder
müssen dem Treiben praktisch machtlos zusehen – ihnen fehlen sogar
Handschellen und Geld fürs Benzin. Jetzt hat die Regierung Flakgeschütze
gegen die Schmuggel-Flugzeuge in Stellung gebracht.
Hamburg
– In Bissau, der Hauptstadt des westafrikanischen Küstenstaats Guinea-Bissau,
stehen die Zeichen auf Boom. Mercedes-Taxen fahren an den Bungalows der
ehemaligen portugiesischen Kolonialverwaltung vorüber, Händler
bieten allerorten Mobiltelefone an, und am Rand der Stadt errichten Arbeiter
pompöse Villen mit Wandmosaiken und Satellitenantennen auf dem Dach.
All
das bildet einen scharfen Kontrast zu dem sonst bitterarmen Land. Plötzlich
flutet Geld nach Guinea-Bissau, das sich den zweifelhaften Ruhm erworben
hat, ein Drogenstaat geworden zu sein – als Basislager, Drehscheibe und
Etappenstation für Tonnen von Kokain, das mit Schiffen und Schnellbooten,
Turboprop-Flugzeugen und Geländewagen nordwärts nach Europa transportiert
wird.
Die
Hintermänner des Schmuggels in dem kleinen Land südlich des Senegal
sind Kolumbianer, die angeblich mit Tunfisch und Cashew-Nüssen handeln,
Guinea-Bissaus wichtigsten Exportartikeln. In Wirklichkeit aber verfrachten
die Südamerikaner Kokain – in Containern, ausgehöhlten Baumstämmen
und selbst in den Gehäusen angeblicher Gourmet-Schnecken. Wie ein
Krake haben die Paten des Rauschmittels ihre Fangarme auch in die Nachbarländer
Guinea-Bissaus ausgestreckt. Sie nutzen die durchlässigen Grenzen
in Westafrika, und sie haben offenbar das Netzwerk von Schlepperbanden
infiltriert, die Bootsflüchtlinge über das Meer nach Europa bringen.
Ende
November schlug Antonio Maria Costa, Chef des Uno-Büros zur Drogen-
und Verbrechensbekämpfung (Undoc), Alarm: Guinea-Bissau sei einem
“massiven Angriff” durch Kokain-Kartelle ausgesetzt und nicht in der Lage,
sich dagegen zu verteidigen – weder zu Lande, zu Wasser noch in der Luft,
sagte er bei einem Besuch der Landesmetropole Bissau.
Costas
Warnung klingt dramatisch, aber wie groß die Bedrohung ist, zeigt
sich schon daran, dass Guinea-Bissaus Präsident Joao Bernardo Vieira
Luftabwehrgeschütze auf einer Insel vor der Küste installieren
ließ, um Flugzeuge der Drogenmafia zu stoppen. Die aber kurven nach
dem langen Flug über den Atlantik unerkannt über ein Archipel
Dutzender von Inseln, die mit Mangroven bestanden sind, und schweben dann
Richtung Landesinneres. Fahnder der Undoc verzeichnen “Direktflüge”
mit Kokain aus Südamerika und “geheime Landeplätze” in Guinea-Bissau.
Korruption
und Mangelwirtschaft
Der
Mafia kommt es gelegen, dass die Macht der Regierung nicht weit reicht.
Es herrschen Korruption, eine Atmosphäre des Unberechenbaren und die
Verwaltung des Mangels – vor allem bei der Justizpolizei, die sich dem
Kampf gegen das Kokain verschrieben hat. Für die Beamten gibt es nur
vier Autos, die aber selten einsatzfähig sind, da es am Geld für
Benzin fehlt. Im Hauptquartier der Fahnder gibt es keinen Funk und keinen
Computer, nicht einmal Handschellen, selten Strom und monatelang keine
Bezahlung.
Trotzdem
glückte den Drogenjägern im April ein großer Fang. Nachdem
sie sich Bares für Benzin geliehen hatten, stellten sie mit ihrem
Einsatzfahrzeug einen Geländewagen mit 635 Kilogramm Kokain an Bord,
das auf ein Flugfeld bei der Ortschaft Cufar eingeflogen worden war. Die
Ware besaß einen Verkaufswert von 80 Millionen Dollar – und entsprach
damit einem Viertel des Bruttosozialprodukts Guinea-Bissaus.
Einen
ähnlichen Coup landeten die Polizisten, als sie die Villa zweier Kolumbianer
in der Hauptstadt filzten. Dabei fanden sie 670 Kilogramm Kokain. Soldaten
übernahmen den Transport ins Schatzamt von Bissau, aus dem das Kokain
wenige Tage später allerdings verschwunden war – und mit ihm die Kolumbianer.
Dem
vielen Geld können offenbar manche der hohen Offiziere und Regierungsbeamten
nur schwer widerstehen. “Es gibt Leute mit Macht, die mit dem Geschäft
verbunden sind”, meint dazu José Américo Na Tchutu, der Befehlshaber
der kleinen guinea-bissauischen Marine – und an weiteren Hauptstadt-Villen,
die ausnahmsweise nicht Gästen aus Kolumbien gehören, ist das
leicht zu sehen.
Unterdessen
sorgt sich die Uno wegen Kokains selbst in den Wüsten Mauretaniens
und dem Weitertransport der weißen Substanz auf alten Haschisch-Routen
durch Marokko, dem Sprungbrett nach Spanien. 630 Kilogramm Kokain wurden
allein in einer zweimotorigen Cessna gefunden, die Fahnder auf dem Flugfeld
von Nouhabidou nahe der mauretanisch-marokkanischen Grenze an die Kette
legten. Nouhabidou ist berüchtigt als Sammelplatz für Bootsflüchtlinge,
und das Kokain-Flugzeug war in Venezuela gestartet.
Es
überrascht bei solchen Mengen wenig, dass Kokain auf dem Bestimmungsmarkt
Europa zur Mode-Droge geworden ist – mit 4,5 Millionen Konsumenten im vergangenen
Jahr. Und der billige Dollar, mit dem die Kartelle fakturieren, hat den
Preis des Pulvers noch weiter gedrückt.
Für
Guinea-Bissau bedeutet das nichts Gutes. Der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen hat eine Warnung ausgesprochen und befürchtet die “Unterminierung”
des Landes. Sie könne ganz Westafrika gefährden, heißt
es am Sitz der Uno in New York.