Interview mit Robie Scheermann – Inhaber von Fotofon

Interview mit Robie Scheermann

Inhaber von Fotofon

Köln Weiden, 19. Juli 2000

RootZ: RobieScheermann, Inhaber, Geschäftsführer, Gründer
von Fotofon – ich wünsche einen guten Tag. Erzähl uns doch mal
etwas über die Geschichte von Fotofon, wie sich das entwickelt hat,
wie lange es schon Fotofon gibt.


 


Robie: Ich hatte vorher einen Musikclub in Köln. Da habe ich
angefangen Reggaemusik zu spielen, was allerdings nur in dem Rahmen von
etwa 25 Prozent  des Programms ging. Ich wollte mich aber mehr mit
Reggaemusik befassen und habe dann den Club zugemacht, bin mit meiner Familie
nach Belgien ausgewandert und habe angefangen mit einem Reggaevertrieb-
von heute auf morgen. Das war im Oktober 1980. Seit dem lebe ich von Reggaemusik, 
also bin seit dem Profi in der Richtung.

Das ging erst sehr langsam los denn,  wenn man so etwas anfängt,
dann hat man erstmal einen Kunden, dann zwei, dann drei und so geht es
ganz langsam aufwärts. Dann sind wir nach knapp zwei Jahren wieder
nach Deutschland zurückgekommen und haben in Aachen einen Laden aufgemacht
mit gleichzeitigem Vertrieb. Aber ein Reggaeladen in Aachen war auch nicht
möglich zu der Zeit. Aachen ist dafür zu klein. Dann haben wir
den Laden wieder zugemacht und seitdem machen wir nur noch den Vertrieb.
Wir sind mehrmals umgezogen, aber da wir im Großhandel sind, spielt
das überhaupt keine Rolle, unsere Kunden werden immer weiterbeliefert.
Wir haben von Anfang an das Glück gehabt, ein paar Großkunden
in Deutschland zu haben. Der erste war damals Boots Plattenladen in Hannover.
Den gibt es schon lange nicht mehr. Oder Ringpo das war die Zeit der deutschen
Welle und da waren sehr viele Leute aufgeschlossen und manche hatten auch
viel Geld verdient und einige davon waren Reggaefans und investierten auch
in Reggaeplatten und präsentierten die in ihren Läden.

Es war eine gute Zeit um damit anzufangen. Wir haben also in der
gleichen Zeit angefangen, wie quasi alle deutschen Independentvertriebe,
wie die Vorläufe von Efa , die dann auch später Indigo gegründet
haben.

RootZ: Erzähl mir mal etwas über euer Sortiment. Wie ist
das geschichtet, und wieso Du das so schichtest?

Robie: Also ich gehe in erster Linie von meinem Konzept aus, daß
Reggae eine alternative Popmusik ist, die vor allen Dingen andere Inhalte
bringt.


Mir kommt es sehr auf den Inhalt an. Reggaemusik, die nur die gleichen
Inhalte bringt wie  Popmusik also z.B. Lovers hat mich nie besonders
interessiert. Allerdings interessiert mich auch Dub, weil es auch ein modernes
Konzept ist. Reggae war überhaupt vom ganzen Produktionsverfahren 
der Rockmusik weit voraus.

Das hat mich sehr fasziniert, weil ich  irgendwie das Medienverständnis
der Reggaemusik gut finde. Und das ist das Auswahlkriterium. Dazu richten
wir uns natürlich auch nach dem Wunsch der Fans. Wenn die Leute halt
die primitive Dancehallmusik haben wollen, so sollen sie sie auch von uns
bekommen aber wir versuchen immer die Sachen zu pushen bzw. favorisieren,
die inhaltlich besser und interessanter sind. Also z.B. in letzter Zeit
Cultural Reggae. Als es losging mit Anthony B und Sizzla, haben wir es
sofort aufgegriffen und versucht, diese Sachen mehr rauszustellen als slackness
und diese Geschichten.


RootZ: Wo Du gerade über Inhalte  sprichst. Gehst Du davon
aus, daß das deutsche Reggaepublikum sich überhaupt mit den
Inhalten beschäftigt?

Robie: Ja, das tun sie. Viele, natürlich nicht alle. Es gibt
tolle Reggaefans, die kein Englisch verstehen. Ich weiß auch nicht
wie die das machen, aber, die Deutschen sind besonders kritisch bzgl. Reggae.
Sie sind strenger im Geschmack als bspw. das Publikum in England.


Natürlich gibt es auch immer  Meinungsführer, zu
denen  ich auch gehöre, die sind halt so drauf und ich bin nicht
der einzige, der das favorisiert. Man sieht es ja auch am Erfolg. Cultural
Reggae läuft in Deutschland sehr gut. Es ist sehr schnell abgegangen,
viele Leute mögen das halt, daß  nicht mehr über slackness
gesungen wird sondern wieder über politische  Probleme.  
Natürlich auch Haile Selassie und sowas, das sind so die rituellen
Anteile daran.

RootZ:  Zum Vertrieb zurückkommend. Wieviel setzt ihr so
um. Also nicht an Geld. Gib mir doch mal so ne Idee, wie groß der
Vertrieb ist. Ich will keine Betriebsgeheimnisse wissen, aber einfach um
ne Idee zu bekommen, wie der Laden brummt.

Robie: Also Brummen kann man das nicht nennen. Mit Reggae kann man
nicht schnell reich werden.Das haben schon etliche versucht  und deshalb
sind wir die Erfolgreichsten, weil wir es nie versucht haben. Die Leute
die versuchten wie mit Rock oder Heavy Metal im Reggae reich zu werden,
die sind alle gescheitert. Heutzutage können wir von guten Titeln
ein paar Hundert verkaufen – CDs oder LPs. Früher waren es vielleicht
200 und dann haben wir ja außerdem noch ein Outlet über einen
Major-Independant, früher Efa, heute Indigo, die also ein Teil unseres
Programms im größeren Stückzahlen verkaufen. Das sind dann
Zahlen bis zu 5000 und manchmal sogar noch drüber.


Aber da verdienen wir nicht so viel daran. Momentan sehr wenig,
weil ja die Kurse zum Dollar und Pfund so ungünstig sind. Im Moment
ist die Ertragslage nicht so toll. Wir haben halt durch Umsatzsteigerung
das ausgleichen können. Ich habe mit meiner Familie immer davon gelebt.
Und wir leben für meine Begriffe nicht schlecht. Ich bin ein alternativer
Mensch. Ich brauche keinen BMW. Ich habe in meinem Leben noch kein neues
Auto gekauft.

Wirtschaftlich gibt es keine Probleme. Reggae ist eine zuverlässige
Quelle. Das hat mir vor 20 Jahren keiner glauben wollen. In meiner Familie
haben die Leute gesagt ” Du bist ja bekloppt, wie kann man nur mit so einer
exotischen Musik als Lebensunterhalt existieren?” Ich habe gesagt “Wartet
mal ab, ihr werdet schon sehen”, und ich habe Recht behalten. Reggae ist
eine unheimlich langlebige Sache. Und das habe ich damals schon gemerkt.
Aber es ist keine Sache wo man reich mit wird. Und die anderen sind auch
nicht richtig reich. Die Leute wie Twinkle Brothers oder Mad Professor.
Mit Rockmusik wird man schneller reich oder mit anderen Sachen, vielleicht
mit HipHop.

RootZ: Erzähl mir etwas über die Struktur von Fotofon.
Wer macht das? Mit wem arbeitet Ihr zusammen? Sind das mehr Jamaikaner,
mehr Briten, sind es beide, sind es die Amis?

Robie: Ursprünglich bin ich nach London gefahren und habe in
London in der sehr starken jamaikanischen Community in der Reggaeszene
die Sachen eingekauft. Die Londoner Reggaelabels waren damals sehr wichtig
und sehr bedeutend. Bspw. das D- ROY Label brachte als erstes in Europa
eine LP von Black Uhuru raus.  Dann fuhr ich nach London und kaufte
die , und war der einzige, der die zu einem Preis hatte, um sie an Großläden
zu verkaufen.


Diese Londoner Reggaelabels haben allerdings an Bedeutung verloren
in den letzten sagen wir mal 5 Jahren. Heute kommen die Platten überwiegend
aus den USA. Aus Jamaika kommen nur Singles. Und aus Jamaika sind früher
ein paar LPs gekommen, aber nie CDs, weil in Jamaika glaube ich erst seit
2 Jahren überhaupt eine CD-Presse existiert. Alle CDs in Jamaika kamen
aus Kanada oder den USA. So hat sich das verschoben.


Das war natürlich in London viel besser. Da kannte man die
Leute alle persönlich. Ich fuhr für eine ganze Woche nach London
und traf Jah Shaka, Twinkle Brothers, Mad Professor  usw. Jeden Tag
welche, man war mit den Leuten zusammen, ging ins Studio. Da war eine ganz
andere Beziehung da. Das ist heute leider nicht mehr. Der einzige der noch
Erfolg in London hat, ist Mad Professor – und Shaka mehr als Performer,
als mit seinem Label. Er hat überhaupt noch nie eine CD selber produziert,
weil er dazu kein Geld hatte. So wurde es weniger. So sieht es aus.

Zu den Kunden: Unsere besten Kunden sind ganz normale Großläden
wie WOM, Saturn, die ganz normalen guten Plattenläden, die ein gutes
Reggaesortiment haben wollen und sich auf unser Programm stützen.
Weil wir eine Auswahl treffen, die nicht unbedingt für den inneren
Kreis der Reggaefans ist, sondern für die Allgemeinheit, die sich
für Reggae interessiert. Das war unser Konzept von Anfang an. Weil
ich selber einen Club hatte, war ich immer interessiert, Reggaeplatten
zu finden, die die Leute gut finden, sogenannte Crossoverplatten. Die erste
war Black Uhuru- Showcase, die ich entdeckt habe, und so habe ich viele
Crossoverplatten entdeckt, und als erster in die Läden gebracht. Die
Läden mögen das, wenn sie Reggae haben, daß sie Platten
haben, die mal auch ein Rockfan kauft, nicht nur die Reggaesammler. Dafür
gibt es ja sowieso genug Spezialfirmen die diese Leute bedienen, Listen
rumschicken. Es gibt Listen, da jucken mir selber die Finger, was zu bestellen.

Ich sammle ja selber keine Platten, das will ich doch mal ganz klar
sagen. Ich bin kein Plattensammler, da ich auf dem Standpunkt stehe , wenn
ich eine Platte habe, und ein Kunde sie kaufen will, so kann er sie kaufen.
Das ist mein Prinzip. Ich gebe dem Kunden immer den Vortritt und mir hat
das nie Leid getan. Ich habe immer genug gute Reggaeplatten gehabt.

RootZ: Und aus welchen Leuten besteht Fotofon?

Robie: Das ist ein Familienbetrieb.

Ich habe angefangen mit meiner Frau. Sie ist leider 1991 verstorben
– sehr jung.


Und dann habe ich weitergemacht mit meiner Tochter und mit meiner
jetzigen Frau und anderen Famielienangehörigen und manchmal Hilfskräften.
Aber im wesentlichen ein Familienbetrieb, wie bspw. auch Coxsonne’s Music
City, also Studio One, das ist auch ein Familienbetrieb. Und viele anderen
in Jamaika. Das ist einerseits Zufall, andererseits aber auch kein Zufall.
Es hat mit der Materie zu tun. Irgendwie ist Reggae anders, es ist nicht
ein reines Business, es ist kein rein kapitalistisches Ding. Und das finde
ich auch gut daran, weil es eine andere Kultur ist. Die bejahe ich voll,
ich will die auch transportieren. Wir  gehören auch dazu. Es
hat nichts mit der Herkunft zu tun. Man braucht nicht Jamaikaner zu sein,
um ein Teil der Reggaekultur zu sein. In meinen Augen ist Reggae allgemeiner
als das Herkunftsland.

RootZ: Ihr müßt eigentlich ein immenses Lager haben, wenn
ihr so große Kunden wie Saturn, Wom usw. habt.


 

Robie: Das ist nicht so, daß wir ein immenses Lager haben,
wir sind sehr gut organisiert. Im Zeitalter der Computer, kann man sehr
effektiv arbeiten. Das nennt man Logistik und wir machen Reggaelogistik.
Wir haben ein geschlossenes Warenwirtschaftssystem, auch wenn unser Laden
nicht so aussieht. Jede CD, LP und Single ist genau registriert und wenn 
die um 9 Uhr verkauft wird, dann ist das im gleichen Moment im Computer
verbucht. Wenn ich um 10 Uhr dann ne Dispo mache, dann weiß ich schon
was ich bestellen muß.


Die Sachen kommen laufend rein und gehen laufend raus. Dadurch können
wir das Lager klein halten. Die Reggaefans wollen keinen Überfluß.
Sobald man eine Platte im Überfluß hat, wird sie nicht mehr
gekauft.

RootZ: Was waren so die erfogreichsten Platten, die Du entdeckt und
vermarktet hast?


Robie: Es fing halt an mit Black Uhuru, dann anfangs sehr viel Dub.

Wir waren die ersten, die gemerkt haben, daß die Deutschen
Dub sehr mögen. Anfangs hatten die Majors den Reggae in der Hand 1976-1978.
Die Majors haben aber nie Dub veröffentlicht, oder nur  sehr
wenig. Und da war die Marktlücke Dub. Da haben wir sehr viele DubPlatten
erstmals in Deutschland auf den Markt gebracht.





Und dann hatten wir sehr viel  Erfolg mit Mad Professor gehabt.
Mit Macka B sehr viel. Anfangs auch viel Lee Perry unterschiedliche Titel.
Manche waren schon mal  da gewesen aber immer fand man gute Lee Perry
Platten, die noch nicht da waren. Ja warte mal das ist eine schwierige
Frage, weil das geht ja  über fast zwanzig Jahre. Was war denn
da noch zwischendurch?


Ich habe vor der Computerzeit keine Charts gemacht. Jetzt habe ich
natürlich Charts und auch Verkaufslisten und könnte  direkt
in Sekundenschnelle das alles erfassen.


Aber früher ging das anders. Was war denn da noch soviel?

Horace Andy ist viel gelaufen. Diese Wackie’s LPs waren wir auch
die ersten, die das hatten.


Z. B. die Dancehall Style, da haben wir hunderte von verkauft auf
Vinyl.

Heute sind die Platten 50 bis 100 Mark wert. Einzelne Alben wurden
immer zu Kultplatten.


Mutabaruka und Bunny Wailer haben wir auch sehr viel verkauft, das
erste Album “Check it” von Mutabaruka. So ging das immer weiter.


Es waren immer Themen, die die Industriefirmen nicht hatten. Es
gab ja Industriereggae, und die hatten ihren Bob Marley und den haben sie
auch immer behalten.


Und dann war da für uns keine natürliche Chance und wir
haben uns auch gar nicht darauf gestürzt.


Wir haben versucht Dinge rauszustellen, die die nicht haben. Heute
verkaufen wir alte Virgintitel, weil es die nicht mehr gibt in Europa.
Die importieren wir aus Amerika. Als die Virginläden in Deutschland
existierten, haben sie  von uns die alten Virgintitel gekauft.

RootZ: Ja ich meine  bei den Majors stellt man ja auch fest,
daß sie in der Regel  nicht wissen, welche Pferde sie im Stall
haben.

Robie:  Ja das war wirklich absurd, also das ist das verrückteste:
ich habe bei Caroline, das ist eine Tochter von Virgin in London, Platten
gerkauft und sie in Deutschland an Virgin weiterverkauft, ja. Als Zwischenhändler.

Wir haben auch ein eigenes Label; wir veröffentlichen aber nur
gelegentlich eine Platte, wenn uns zufällig etwas Gutes unter die
Finger kommt. Da haben wir ein Lee Perry Album, “Dub Net Philosophy”, ebenso
die Dub Crusaders, das Album heißt “Universal Spirit Warrior”, es
ist eins der richtungsweisenden Alben. Dann haben wir Iqulah,  “Live
in Switzerland”, zwei Live CDs und eine LP.



Natürlich haben wir auch unsere eigene Produktion Puls der
Zeit und Taugenixe auf CD veröffentlicht. Letzens hatten wir eine
Afro- Veröffentlichung; also kein Reggae. “Nairobi River Road”. Der
Sänger Munishi ist im Grunde auch ein Cultural Sänger, also ein
Überzeugungstäter, der in Ostafrika sehr populär ist und
auf Kiswahili singt.


Mir kommt es auf folgendes an: Ich möchte mich mit Musik auf
jeder Ebene beschäftigen. Nicht nur Vertrieb sein und nicht nur Laden,
nicht nur eine Sache. Ich gehe ins Studio und nehme selber auf, ich habe
sogar selber gesungen und habe auch selber Instrumente gespielt, obwohl
ich kein Musiker bin. Ich brauche nicht Musiker zu sein: wenn es um Reggae
geht, spiele ich auch ein Instrument.


Im Rundfunk habe ich Reggae-Sendungen gemacht und über Reggae
geschrieben und CDs und LPs veröffentlicht. Auf allen Ebenen möchte
ich wenigstens soviel damit zu tun haben, daß ich die Vorgänge
kenne und weiß, wie sie funktionieren; denn rein vom Hörensagen
weißt Du es nicht. Man muß schon mal hingehen und es selber
machen. Man muß sich ins Studio begeben, nicht nur mal reingucken,
sondern ne ganze Woche sitzen bleiben und bei der Produktion dabei sein.


Und deshalb habe ich alles, was es gibt, schon gemacht. Nur als Dj habe
ich noch nicht gearbeitet, das, was jetzt so in ist, diese Reggae-Djs mit
Ihren Singles, das Scratchen, das aus dem HipHop kommt. Das ist das einzige,
das werde ich auch noch mal ausprobieren…

RootZ: Persönliche Frage: Wie hat dich Reggae eingefangen?

Robie: Ich war davor Fan von normaler Rockmusik, und Mitte der 70er
Jahre war ziemlich Ebbe. Und plötzlich hörte ich, wie Bob Marley
lief und merkte, da ist was ganz anders in Gange. Das ging dann sehr schnell.
Ich war auf der Suche, das muß ich ganz klar sagen.


Ich hatte ja auch einen Club und war auch professionell auf der
Suche. D.h., ich suchte nach Musik, wo ich eine Platte kaufe und die dann
abends im Club spiele, wo dann fünf Leute zu mir kommen und fragen:
“Was ist denn das für eine Platte, das ist ja toll, das haben wir
noch nie gehört”. Sowas suchte ich ständig. Und da habe ich dann
halt Reggae entdeckt: Bob Marley, U-Roy, Culture, Gladiators. Das waren
die ersten Sachen. Dann fuhr ich als nächstes nach Amsterdam, um mehr
davon zu kriegen. Und mich haben zwei Dinge interessiert:


Erstens die inhaltliche Sache, denn die Rockmusik wurde zu der Zeit
völlig inhaltslos. Das war die Zeit wo die


Eagels und solche Gruppen  populär waren. Die sangen über
“Hotel California”, das hat mich überhaupt nicht interessiert. Was
interessiert mich ein Hotel California wo ich ja doch nie hinkomme.

Während die Gladiators sangen: “This  is 1976 we don´t
want no war!” Ne Zeitansage, ne Jahreszahl in nem Song. Das hat mich unheimlich
fasziniert. Das war meine Vorstellung von guten Liedern. Singen, was Sache
ist, und nicht irgendeinen Schmu. So kam ich dazu.


Und musikalisch merkte ich zweitens, daß sie viel moderner
waren als die Rockmusiker.


Reggae ist quasi die erste Musik, die im Studio entstanden ist und
nicht irgendwie live oder so.


Das ist richtige Studiomusik gewesen von Anfang an. Damals gab es
ja auch noch die Discomusik, das war auch Studiomusik, aber nicht so anspruchsvoll.
Das kann man nicht vergleichen. Das war reine Unterhaltungs-/Tanzmusik.


Und Reggae war das neue moderne Konzept und bis heute ist ja auch
noch nichts Moderneres gekommen in der Popmusik. Ich wüßte nicht
was.

Mit dem Computer wird die Musik nur anders produziert. Da gibt es
einige technischen Fortschritte. Aber das Konzept der Reggaemusik ist heutzutage
auf jeden Fall noch nicht veraltet. HipHop wird genauso gemacht wie Reggae.
Fast kein Unterschied. Es sind nur andere Leute, die das machen. Teils 
sogar dieselben unter verschiedenen Namen. House wird auch so gemacht.

RootZ: Und Techno.

Robie: Techno auch größten Teils. Nur ein bischen mehr
computerisiert. Ist sogar kompatibel mit Reggae. Der Technobeat und der
Reggaebeat auch der HipHop-Beat – sie sind alle deckungsgleich. Man kann
die in einem Song nachträglich austauschen mit dem Computer. Das sind
die Dinge, warum ich mich mit der Herstellung der Musik beschäftige.
Um so etwas zu verstehen, wie man am Computer Beats produziert, wie man
Beats programmiert, wie man die Computerprogramme in den Songs austauschen
kann. Das ist das moderne Konzept. Auch Dub – Dub könnte man von jeder
Musik machen. Warum machen es nur die Reggaeleute? Die anderen haben es
noch nicht gemerkt. Die sind uns eben einiges voraus gewesen, die Jamaikaner,
um fast 20 Jahre.

RootZ: Wo wir beim Dub sind, es gibt verschiedenste Varianten wie
Dub entstanden ist. Welche Variante kennst Du?

Robie: Also ich favorisiere diese Geschichte, daß King Tubby
wirklich  per Zufall auf die Idee gekommen ist, eine Single zu machen,
wo er den Gesang einfach ein- und ausblendet und mit ein bißchen
Echo versieht. Es war damals üblich, daß sie eine einzige Single
machten, die sie dann direkt im Soundsystem testeten, und gemerkt haben:
Wow, das Publikum fährt darauf ab. Und das ist auch irgendwie logisch.
Die Leute kennen ja den Song. Die Platte, die fängt erst an- und sie
glauben, das ist die Musik, die sie am Abend zuvor gehört  haben
– aber plötzlich ist der Gesang weg. Wow, Wow,Wow, das ist ein unheimlicher
Kick, wenn man das zum ersten mal hört. Das merkt jeder, das war Wahnsinn!

Und da in Jamaika jeder jeden imitiert, dauerte es im Grunde nur
Wochen, bis das jeder gemacht hat, und nachher sagte jeder, er hätte
es erfunden. Aber ich glaube wirklich, daß King Tubby der erste war.
Lee Perry hat sich erst später drangehangen. Wenn er es wirklich erfunden
hätte, dann hätte er es schon 10 Jahre vorher erfinden können.
Denn im Studio One hatten sie ja schon diese backings gebracht auf der
Rückseite der Single. Aber ohne diese Effekte. Einfach das backing,
wo der Sänger darauf singt. Und das haben sie später dann als
Dub verkauft, aber das ist kein Dub!

RootZ: Das ist ne Version

Robie: Genau. Ich glaube, daß es so stimmt. Ich kann es nicht
beweisen. King Tubby lebt nicht mehr. Der Mad Professor glaubt das auch.

RootZ: Also Du gehst davon aus, daß es ein bewußt gesteuerter
Prozeß war, weil es gibt ja auch Leute, die argumentieren, es war
ein Unfall.

Robie: Wieso?

RootZ:Da hat wohl irgendeiner bekifft am Mischpult rumgespielt, und
aus Versehen…

Robie: Ich glaube auch nicht, daß King Tubby ein Kiffer gewesen
ist.

RootZ: Ja, okay, ich habe ja jetzt auch nicht King Tubby gesagt.
Ich habe ja irgendwer gesagt.

Robie: Nee, nee, nee. Ich will mal ganz klip und klar folgendes sagen:
Das Ganja spielt eine viel unwesentlichere Rolle, als die deutschen Reggaefans
glauben. Reggae gab es schon, bevor ein Reggaemusiker angefangen hat, Ganja
zu rauchen. Das hieß noch nicht Reggae, sondern Rocksteady. Aber
es ist die gleiche Musik, ganz eindeutig. Ska Leute haben auch kein Ganja
geraucht. Leute wie Coxonne rauchen auch nicht. Leute wie Bob Marley haben
das zum Kult gemacht. Sehr viel Dinge hat Bob Marley in den Reggae reingebracht.
Und weil er der Superstar wurde, haben die Leute im Nachherein geglaubt,
es muß so sein. Auch Rasta hat mit Reggae eigentlich nichts zu tun.
Es gibt sehr viele Reggaemusiker, die dem Rastakult angehören. Aber
es gibt auch sehr viele, die kurze Haare haben, und Bier trinken. Die gibt
es nicht in Deutschland, aber die gibt es in Brixton und in Jamaika. 
Z.B. Delroy Wilson ist so ein Typ. Er ist ein großer Reggaesänger
, aber er hat weder was mit Rasta, noch was mit Ganja zu tun. Ist bei uns
nicht bekannt, aber ist trotzdem ein toller  Sänger. Und es gibt
immer mehr Leute, die das entdecken.

 RootZ: Ne abschließnde Frage. Was hältst Du vom
Internet in Bezug auf Reggae, auf das Musikbusiness im allgemeinen?

Robie: Also ich würde sagen, das Internet ist nicht unbedingt
in der gleichen Richtung wie Reggae . Das Internet hat im Grunde mit allem
was zu tun. Aber Reggae ist nicht die spezifische Kultur, die sich gut
im Internet präsentiert. Nur weil das Internet so allgegenwärtig
ist, muß Reggae da auch präsent sein. Ich nenne das eine Korrelation.


Alles was mit dem Computer und so zu tun hat, und vor  allen
Dingen auch mit persönlicher Kontaktaufnahme. Ich glaube, die Leute
gehen ins Internet um irgendwelche menschliche – sie meinen Beziehungen
– anzuknüpfen. Aber Reggae ist nichts internetspezifisches. Andererseits
ist das Internet das globale Medium. Und das ist das Tolle daran. Und Reggae
ist auch global. Da ist allerdings ein starker Berührungspunkt. Die
Globalität ist eine starke Gemeinsamkeit.


Copyright Text: Catharina / Holger /
Dr. Igüz / Cover-Grafiken: Marina Bretschneider / Fotos / Layout:
Dr. Igüz 2000

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