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Interview mit Robie Scheermann
Inhaber von Fotofon
Köln Weiden, 19. Juli 2000

RootZ: RobieScheermann, Inhaber, Geschäftsführer, Gründer von Fotofon - ich wünsche einen guten Tag. Erzähl uns doch mal etwas über die Geschichte von Fotofon, wie sich das entwickelt hat, wie lange es schon Fotofon gibt.
 

Robie: Ich hatte vorher einen Musikclub in Köln. Da habe ich angefangen Reggaemusik zu spielen, was allerdings nur in dem Rahmen von etwa 25 Prozent  des Programms ging. Ich wollte mich aber mehr mit Reggaemusik befassen und habe dann den Club zugemacht, bin mit meiner Familie nach Belgien ausgewandert und habe angefangen mit einem Reggaevertrieb- von heute auf morgen. Das war im Oktober 1980. Seit dem lebe ich von Reggaemusik,  also bin seit dem Profi in der Richtung.

Das ging erst sehr langsam los denn,  wenn man so etwas anfängt, dann hat man erstmal einen Kunden, dann zwei, dann drei und so geht es ganz langsam aufwärts. Dann sind wir nach knapp zwei Jahren wieder nach Deutschland zurückgekommen und haben in Aachen einen Laden aufgemacht mit gleichzeitigem Vertrieb. Aber ein Reggaeladen in Aachen war auch nicht möglich zu der Zeit. Aachen ist dafür zu klein. Dann haben wir den Laden wieder zugemacht und seitdem machen wir nur noch den Vertrieb. Wir sind mehrmals umgezogen, aber da wir im Großhandel sind, spielt das überhaupt keine Rolle, unsere Kunden werden immer weiterbeliefert. Wir haben von Anfang an das Glück gehabt, ein paar Großkunden in Deutschland zu haben. Der erste war damals Boots Plattenladen in Hannover. Den gibt es schon lange nicht mehr. Oder Ringpo das war die Zeit der deutschen Welle und da waren sehr viele Leute aufgeschlossen und manche hatten auch viel Geld verdient und einige davon waren Reggaefans und investierten auch in Reggaeplatten und präsentierten die in ihren Läden.

Es war eine gute Zeit um damit anzufangen. Wir haben also in der gleichen Zeit angefangen, wie quasi alle deutschen Independentvertriebe, wie die Vorläufe von Efa , die dann auch später Indigo gegründet haben.

RootZ: Erzähl mir mal etwas über euer Sortiment. Wie ist das geschichtet, und wieso Du das so schichtest?

Robie: Also ich gehe in erster Linie von meinem Konzept aus, daß Reggae eine alternative Popmusik ist, die vor allen Dingen andere Inhalte bringt.
Mir kommt es sehr auf den Inhalt an. Reggaemusik, die nur die gleichen Inhalte bringt wie  Popmusik also z.B. Lovers hat mich nie besonders interessiert. Allerdings interessiert mich auch Dub, weil es auch ein modernes Konzept ist. Reggae war überhaupt vom ganzen Produktionsverfahren  der Rockmusik weit voraus.
Das hat mich sehr fasziniert, weil ich  irgendwie das Medienverständnis der Reggaemusik gut finde. Und das ist das Auswahlkriterium. Dazu richten wir uns natürlich auch nach dem Wunsch der Fans. Wenn die Leute halt die primitive Dancehallmusik haben wollen, so sollen sie sie auch von uns bekommen aber wir versuchen immer die Sachen zu pushen bzw. favorisieren, die inhaltlich besser und interessanter sind. Also z.B. in letzter Zeit Cultural Reggae. Als es losging mit Anthony B und Sizzla, haben wir es sofort aufgegriffen und versucht, diese Sachen mehr rauszustellen als slackness und diese Geschichten.

RootZ: Wo Du gerade über Inhalte  sprichst. Gehst Du davon aus, daß das deutsche Reggaepublikum sich überhaupt mit den Inhalten beschäftigt?

Robie: Ja, das tun sie. Viele, natürlich nicht alle. Es gibt tolle Reggaefans, die kein Englisch verstehen. Ich weiß auch nicht wie die das machen, aber, die Deutschen sind besonders kritisch bzgl. Reggae. Sie sind strenger im Geschmack als bspw. das Publikum in England.
Natürlich gibt es auch immer  Meinungsführer, zu denen  ich auch gehöre, die sind halt so drauf und ich bin nicht der einzige, der das favorisiert. Man sieht es ja auch am Erfolg. Cultural Reggae läuft in Deutschland sehr gut. Es ist sehr schnell abgegangen, viele Leute mögen das halt, daß  nicht mehr über slackness gesungen wird sondern wieder über politische  Probleme.   Natürlich auch Haile Selassie und sowas, das sind so die rituellen Anteile daran.

RootZ:  Zum Vertrieb zurückkommend. Wieviel setzt ihr so um. Also nicht an Geld. Gib mir doch mal so ne Idee, wie groß der Vertrieb ist. Ich will keine Betriebsgeheimnisse wissen, aber einfach um ne Idee zu bekommen, wie der Laden brummt.

Robie: Also Brummen kann man das nicht nennen. Mit Reggae kann man nicht schnell reich werden.Das haben schon etliche versucht  und deshalb sind wir die Erfolgreichsten, weil wir es nie versucht haben. Die Leute die versuchten wie mit Rock oder Heavy Metal im Reggae reich zu werden, die sind alle gescheitert. Heutzutage können wir von guten Titeln ein paar Hundert verkaufen - CDs oder LPs. Früher waren es vielleicht 200 und dann haben wir ja außerdem noch ein Outlet über einen Major-Independant, früher Efa, heute Indigo, die also ein Teil unseres Programms im größeren Stückzahlen verkaufen. Das sind dann Zahlen bis zu 5000 und manchmal sogar noch drüber.
Aber da verdienen wir nicht so viel daran. Momentan sehr wenig, weil ja die Kurse zum Dollar und Pfund so ungünstig sind. Im Moment ist die Ertragslage nicht so toll. Wir haben halt durch Umsatzsteigerung das ausgleichen können. Ich habe mit meiner Familie immer davon gelebt. Und wir leben für meine Begriffe nicht schlecht. Ich bin ein alternativer Mensch. Ich brauche keinen BMW. Ich habe in meinem Leben noch kein neues Auto gekauft.

Wirtschaftlich gibt es keine Probleme. Reggae ist eine zuverlässige Quelle. Das hat mir vor 20 Jahren keiner glauben wollen. In meiner Familie haben die Leute gesagt " Du bist ja bekloppt, wie kann man nur mit so einer exotischen Musik als Lebensunterhalt existieren?" Ich habe gesagt "Wartet mal ab, ihr werdet schon sehen", und ich habe Recht behalten. Reggae ist eine unheimlich langlebige Sache. Und das habe ich damals schon gemerkt. Aber es ist keine Sache wo man reich mit wird. Und die anderen sind auch nicht richtig reich. Die Leute wie Twinkle Brothers oder Mad Professor. Mit Rockmusik wird man schneller reich oder mit anderen Sachen, vielleicht mit HipHop.

RootZ: Erzähl mir etwas über die Struktur von Fotofon. Wer macht das? Mit wem arbeitet Ihr zusammen? Sind das mehr Jamaikaner, mehr Briten, sind es beide, sind es die Amis?

Robie: Ursprünglich bin ich nach London gefahren und habe in London in der sehr starken jamaikanischen Community in der Reggaeszene die Sachen eingekauft. Die Londoner Reggaelabels waren damals sehr wichtig und sehr bedeutend. Bspw. das D- ROY Label brachte als erstes in Europa eine LP von Black Uhuru raus.  Dann fuhr ich nach London und kaufte die , und war der einzige, der die zu einem Preis hatte, um sie an Großläden zu verkaufen.
Diese Londoner Reggaelabels haben allerdings an Bedeutung verloren in den letzten sagen wir mal 5 Jahren. Heute kommen die Platten überwiegend aus den USA. Aus Jamaika kommen nur Singles. Und aus Jamaika sind früher ein paar LPs gekommen, aber nie CDs, weil in Jamaika glaube ich erst seit 2 Jahren überhaupt eine CD-Presse existiert. Alle CDs in Jamaika kamen aus Kanada oder den USA. So hat sich das verschoben.
Das war natürlich in London viel besser. Da kannte man die Leute alle persönlich. Ich fuhr für eine ganze Woche nach London und traf Jah Shaka, Twinkle Brothers, Mad Professor  usw. Jeden Tag welche, man war mit den Leuten zusammen, ging ins Studio. Da war eine ganz andere Beziehung da. Das ist heute leider nicht mehr. Der einzige der noch Erfolg in London hat, ist Mad Professor - und Shaka mehr als Performer, als mit seinem Label. Er hat überhaupt noch nie eine CD selber produziert, weil er dazu kein Geld hatte. So wurde es weniger. So sieht es aus.

Zu den Kunden: Unsere besten Kunden sind ganz normale Großläden wie WOM, Saturn, die ganz normalen guten Plattenläden, die ein gutes Reggaesortiment haben wollen und sich auf unser Programm stützen. Weil wir eine Auswahl treffen, die nicht unbedingt für den inneren Kreis der Reggaefans ist, sondern für die Allgemeinheit, die sich für Reggae interessiert. Das war unser Konzept von Anfang an. Weil ich selber einen Club hatte, war ich immer interessiert, Reggaeplatten zu finden, die die Leute gut finden, sogenannte Crossoverplatten. Die erste war Black Uhuru- Showcase, die ich entdeckt habe, und so habe ich viele Crossoverplatten entdeckt, und als erster in die Läden gebracht. Die Läden mögen das, wenn sie Reggae haben, daß sie Platten haben, die mal auch ein Rockfan kauft, nicht nur die Reggaesammler. Dafür gibt es ja sowieso genug Spezialfirmen die diese Leute bedienen, Listen rumschicken. Es gibt Listen, da jucken mir selber die Finger, was zu bestellen.

Ich sammle ja selber keine Platten, das will ich doch mal ganz klar sagen. Ich bin kein Plattensammler, da ich auf dem Standpunkt stehe , wenn ich eine Platte habe, und ein Kunde sie kaufen will, so kann er sie kaufen. Das ist mein Prinzip. Ich gebe dem Kunden immer den Vortritt und mir hat das nie Leid getan. Ich habe immer genug gute Reggaeplatten gehabt.

RootZ: Und aus welchen Leuten besteht Fotofon?

Robie: Das ist ein Familienbetrieb.
Ich habe angefangen mit meiner Frau. Sie ist leider 1991 verstorben - sehr jung.
Und dann habe ich weitergemacht mit meiner Tochter und mit meiner jetzigen Frau und anderen Famielienangehörigen und manchmal Hilfskräften. Aber im wesentlichen ein Familienbetrieb, wie bspw. auch Coxsonne's Music City, also Studio One, das ist auch ein Familienbetrieb. Und viele anderen in Jamaika. Das ist einerseits Zufall, andererseits aber auch kein Zufall. Es hat mit der Materie zu tun. Irgendwie ist Reggae anders, es ist nicht ein reines Business, es ist kein rein kapitalistisches Ding. Und das finde ich auch gut daran, weil es eine andere Kultur ist. Die bejahe ich voll, ich will die auch transportieren. Wir  gehören auch dazu. Es hat nichts mit der Herkunft zu tun. Man braucht nicht Jamaikaner zu sein, um ein Teil der Reggaekultur zu sein. In meinen Augen ist Reggae allgemeiner als das Herkunftsland.

RootZ: Ihr müßt eigentlich ein immenses Lager haben, wenn ihr so große Kunden wie Saturn, Wom usw. habt.
 
Robie: Das ist nicht so, daß wir ein immenses Lager haben, wir sind sehr gut organisiert. Im Zeitalter der Computer, kann man sehr effektiv arbeiten. Das nennt man Logistik und wir machen Reggaelogistik. Wir haben ein geschlossenes Warenwirtschaftssystem, auch wenn unser Laden nicht so aussieht. Jede CD, LP und Single ist genau registriert und wenn  die um 9 Uhr verkauft wird, dann ist das im gleichen Moment im Computer verbucht. Wenn ich um 10 Uhr dann ne Dispo mache, dann weiß ich schon was ich bestellen muß.
Die Sachen kommen laufend rein und gehen laufend raus. Dadurch können wir das Lager klein halten. Die Reggaefans wollen keinen Überfluß. Sobald man eine Platte im Überfluß hat, wird sie nicht mehr gekauft.

RootZ: Was waren so die erfogreichsten Platten, die Du entdeckt und vermarktet hast?
Robie: Es fing halt an mit Black Uhuru, dann anfangs sehr viel Dub.
Wir waren die ersten, die gemerkt haben, daß die Deutschen Dub sehr mögen. Anfangs hatten die Majors den Reggae in der Hand 1976-1978. Die Majors haben aber nie Dub veröffentlicht, oder nur  sehr wenig. Und da war die Marktlücke Dub. Da haben wir sehr viele DubPlatten erstmals in Deutschland auf den Markt gebracht.



Und dann hatten wir sehr viel  Erfolg mit Mad Professor gehabt. Mit Macka B sehr viel. Anfangs auch viel Lee Perry unterschiedliche Titel. Manche waren schon mal  da gewesen aber immer fand man gute Lee Perry Platten, die noch nicht da waren. Ja warte mal das ist eine schwierige Frage, weil das geht ja  über fast zwanzig Jahre. Was war denn da noch zwischendurch?
Ich habe vor der Computerzeit keine Charts gemacht. Jetzt habe ich natürlich Charts und auch Verkaufslisten und könnte  direkt in Sekundenschnelle das alles erfassen.
Aber früher ging das anders. Was war denn da noch soviel?
Horace Andy ist viel gelaufen. Diese Wackie's LPs waren wir auch die ersten, die das hatten.
Z. B. die Dancehall Style, da haben wir hunderte von verkauft auf Vinyl.

Heute sind die Platten 50 bis 100 Mark wert. Einzelne Alben wurden immer zu Kultplatten.
Mutabaruka und Bunny Wailer haben wir auch sehr viel verkauft, das erste Album "Check it" von Mutabaruka. So ging das immer weiter.
Es waren immer Themen, die die Industriefirmen nicht hatten. Es gab ja Industriereggae, und die hatten ihren Bob Marley und den haben sie auch immer behalten.
Und dann war da für uns keine natürliche Chance und wir haben uns auch gar nicht darauf gestürzt.
Wir haben versucht Dinge rauszustellen, die die nicht haben. Heute verkaufen wir alte Virgintitel, weil es die nicht mehr gibt in Europa. Die importieren wir aus Amerika. Als die Virginläden in Deutschland existierten, haben sie  von uns die alten Virgintitel gekauft.

RootZ: Ja ich meine  bei den Majors stellt man ja auch fest, daß sie in der Regel  nicht wissen, welche Pferde sie im Stall haben.

Robie:  Ja das war wirklich absurd, also das ist das verrückteste: ich habe bei Caroline, das ist eine Tochter von Virgin in London, Platten gerkauft und sie in Deutschland an Virgin weiterverkauft, ja. Als Zwischenhändler.

Wir haben auch ein eigenes Label; wir veröffentlichen aber nur gelegentlich eine Platte, wenn uns zufällig etwas Gutes unter die Finger kommt. Da haben wir ein Lee Perry Album, "Dub Net Philosophy", ebenso die Dub Crusaders, das Album heißt "Universal Spirit Warrior", es ist eins der richtungsweisenden Alben. Dann haben wir Iqulah,  "Live in Switzerland", zwei Live CDs und eine LP.


Natürlich haben wir auch unsere eigene Produktion Puls der Zeit und Taugenixe auf CD veröffentlicht. Letzens hatten wir eine Afro- Veröffentlichung; also kein Reggae. "Nairobi River Road". Der Sänger Munishi ist im Grunde auch ein Cultural Sänger, also ein Überzeugungstäter, der in Ostafrika sehr populär ist und auf Kiswahili singt.
Mir kommt es auf folgendes an: Ich möchte mich mit Musik auf jeder Ebene beschäftigen. Nicht nur Vertrieb sein und nicht nur Laden, nicht nur eine Sache. Ich gehe ins Studio und nehme selber auf, ich habe sogar selber gesungen und habe auch selber Instrumente gespielt, obwohl ich kein Musiker bin. Ich brauche nicht Musiker zu sein: wenn es um Reggae geht, spiele ich auch ein Instrument.
Im Rundfunk habe ich Reggae-Sendungen gemacht und über Reggae geschrieben und CDs und LPs veröffentlicht. Auf allen Ebenen möchte ich wenigstens soviel damit zu tun haben, daß ich die Vorgänge kenne und weiß, wie sie funktionieren; denn rein vom Hörensagen weißt Du es nicht. Man muß schon mal hingehen und es selber machen. Man muß sich ins Studio begeben, nicht nur mal reingucken, sondern ne ganze Woche sitzen bleiben und bei der Produktion dabei sein.

Und deshalb habe ich alles, was es gibt, schon gemacht. Nur als Dj habe ich noch nicht gearbeitet, das, was jetzt so in ist, diese Reggae-Djs mit Ihren Singles, das Scratchen, das aus dem HipHop kommt. Das ist das einzige, das werde ich auch noch mal ausprobieren...

RootZ: Persönliche Frage: Wie hat dich Reggae eingefangen?

Robie: Ich war davor Fan von normaler Rockmusik, und Mitte der 70er Jahre war ziemlich Ebbe. Und plötzlich hörte ich, wie Bob Marley lief und merkte, da ist was ganz anders in Gange. Das ging dann sehr schnell. Ich war auf der Suche, das muß ich ganz klar sagen.
Ich hatte ja auch einen Club und war auch professionell auf der Suche. D.h., ich suchte nach Musik, wo ich eine Platte kaufe und die dann abends im Club spiele, wo dann fünf Leute zu mir kommen und fragen: "Was ist denn das für eine Platte, das ist ja toll, das haben wir noch nie gehört". Sowas suchte ich ständig. Und da habe ich dann halt Reggae entdeckt: Bob Marley, U-Roy, Culture, Gladiators. Das waren die ersten Sachen. Dann fuhr ich als nächstes nach Amsterdam, um mehr davon zu kriegen. Und mich haben zwei Dinge interessiert:
Erstens die inhaltliche Sache, denn die Rockmusik wurde zu der Zeit völlig inhaltslos. Das war die Zeit wo die
Eagels und solche Gruppen  populär waren. Die sangen über "Hotel California", das hat mich überhaupt nicht interessiert. Was interessiert mich ein Hotel California wo ich ja doch nie hinkomme.

Während die Gladiators sangen: "This  is 1976 we don´t want no war!" Ne Zeitansage, ne Jahreszahl in nem Song. Das hat mich unheimlich fasziniert. Das war meine Vorstellung von guten Liedern. Singen, was Sache ist, und nicht irgendeinen Schmu. So kam ich dazu.
Und musikalisch merkte ich zweitens, daß sie viel moderner waren als die Rockmusiker.
Reggae ist quasi die erste Musik, die im Studio entstanden ist und nicht irgendwie live oder so.
Das ist richtige Studiomusik gewesen von Anfang an. Damals gab es ja auch noch die Discomusik, das war auch Studiomusik, aber nicht so anspruchsvoll. Das kann man nicht vergleichen. Das war reine Unterhaltungs-/Tanzmusik.
Und Reggae war das neue moderne Konzept und bis heute ist ja auch noch nichts Moderneres gekommen in der Popmusik. Ich wüßte nicht was.

Mit dem Computer wird die Musik nur anders produziert. Da gibt es einige technischen Fortschritte. Aber das Konzept der Reggaemusik ist heutzutage auf jeden Fall noch nicht veraltet. HipHop wird genauso gemacht wie Reggae. Fast kein Unterschied. Es sind nur andere Leute, die das machen. Teils  sogar dieselben unter verschiedenen Namen. House wird auch so gemacht.

RootZ: Und Techno.

Robie: Techno auch größten Teils. Nur ein bischen mehr computerisiert. Ist sogar kompatibel mit Reggae. Der Technobeat und der Reggaebeat auch der HipHop-Beat - sie sind alle deckungsgleich. Man kann die in einem Song nachträglich austauschen mit dem Computer. Das sind die Dinge, warum ich mich mit der Herstellung der Musik beschäftige. Um so etwas zu verstehen, wie man am Computer Beats produziert, wie man Beats programmiert, wie man die Computerprogramme in den Songs austauschen kann. Das ist das moderne Konzept. Auch Dub - Dub könnte man von jeder Musik machen. Warum machen es nur die Reggaeleute? Die anderen haben es noch nicht gemerkt. Die sind uns eben einiges voraus gewesen, die Jamaikaner, um fast 20 Jahre.

RootZ: Wo wir beim Dub sind, es gibt verschiedenste Varianten wie Dub entstanden ist. Welche Variante kennst Du?

Robie: Also ich favorisiere diese Geschichte, daß King Tubby wirklich  per Zufall auf die Idee gekommen ist, eine Single zu machen, wo er den Gesang einfach ein- und ausblendet und mit ein bißchen Echo versieht. Es war damals üblich, daß sie eine einzige Single machten, die sie dann direkt im Soundsystem testeten, und gemerkt haben: Wow, das Publikum fährt darauf ab. Und das ist auch irgendwie logisch. Die Leute kennen ja den Song. Die Platte, die fängt erst an- und sie glauben, das ist die Musik, die sie am Abend zuvor gehört  haben - aber plötzlich ist der Gesang weg. Wow, Wow,Wow, das ist ein unheimlicher Kick, wenn man das zum ersten mal hört. Das merkt jeder, das war Wahnsinn!

Und da in Jamaika jeder jeden imitiert, dauerte es im Grunde nur Wochen, bis das jeder gemacht hat, und nachher sagte jeder, er hätte es erfunden. Aber ich glaube wirklich, daß King Tubby der erste war. Lee Perry hat sich erst später drangehangen. Wenn er es wirklich erfunden hätte, dann hätte er es schon 10 Jahre vorher erfinden können. Denn im Studio One hatten sie ja schon diese backings gebracht auf der Rückseite der Single. Aber ohne diese Effekte. Einfach das backing, wo der Sänger darauf singt. Und das haben sie später dann als Dub verkauft, aber das ist kein Dub!

RootZ: Das ist ne Version

Robie: Genau. Ich glaube, daß es so stimmt. Ich kann es nicht beweisen. King Tubby lebt nicht mehr. Der Mad Professor glaubt das auch.

RootZ: Also Du gehst davon aus, daß es ein bewußt gesteuerter Prozeß war, weil es gibt ja auch Leute, die argumentieren, es war ein Unfall.

Robie: Wieso?

RootZ:Da hat wohl irgendeiner bekifft am Mischpult rumgespielt, und aus Versehen...

Robie: Ich glaube auch nicht, daß King Tubby ein Kiffer gewesen ist.

RootZ: Ja, okay, ich habe ja jetzt auch nicht King Tubby gesagt. Ich habe ja irgendwer gesagt.

Robie: Nee, nee, nee. Ich will mal ganz klip und klar folgendes sagen: Das Ganja spielt eine viel unwesentlichere Rolle, als die deutschen Reggaefans glauben. Reggae gab es schon, bevor ein Reggaemusiker angefangen hat, Ganja zu rauchen. Das hieß noch nicht Reggae, sondern Rocksteady. Aber es ist die gleiche Musik, ganz eindeutig. Ska Leute haben auch kein Ganja geraucht. Leute wie Coxonne rauchen auch nicht. Leute wie Bob Marley haben das zum Kult gemacht. Sehr viel Dinge hat Bob Marley in den Reggae reingebracht. Und weil er der Superstar wurde, haben die Leute im Nachherein geglaubt, es muß so sein. Auch Rasta hat mit Reggae eigentlich nichts zu tun. Es gibt sehr viele Reggaemusiker, die dem Rastakult angehören. Aber es gibt auch sehr viele, die kurze Haare haben, und Bier trinken. Die gibt es nicht in Deutschland, aber die gibt es in Brixton und in Jamaika.  Z.B. Delroy Wilson ist so ein Typ. Er ist ein großer Reggaesänger , aber er hat weder was mit Rasta, noch was mit Ganja zu tun. Ist bei uns nicht bekannt, aber ist trotzdem ein toller  Sänger. Und es gibt immer mehr Leute, die das entdecken.

 RootZ: Ne abschließnde Frage. Was hältst Du vom Internet in Bezug auf Reggae, auf das Musikbusiness im allgemeinen?

Robie: Also ich würde sagen, das Internet ist nicht unbedingt in der gleichen Richtung wie Reggae . Das Internet hat im Grunde mit allem was zu tun. Aber Reggae ist nicht die spezifische Kultur, die sich gut im Internet präsentiert. Nur weil das Internet so allgegenwärtig ist, muß Reggae da auch präsent sein. Ich nenne das eine Korrelation.
Alles was mit dem Computer und so zu tun hat, und vor  allen Dingen auch mit persönlicher Kontaktaufnahme. Ich glaube, die Leute gehen ins Internet um irgendwelche menschliche - sie meinen Beziehungen - anzuknüpfen. Aber Reggae ist nichts internetspezifisches. Andererseits ist das Internet das globale Medium. Und das ist das Tolle daran. Und Reggae ist auch global. Da ist allerdings ein starker Berührungspunkt. Die Globalität ist eine starke Gemeinsamkeit.


Copyright Text: Catharina / Holger / Dr. Igüz / Cover-Grafiken: Marina Bretschneider / Fotos / Layout: Dr. Igüz 2000