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Can - Köln, Palladium
26. März 1999

Viele Wiederauferstehungen schon totgesagter Bands und Musiker gab es in letzter Zeit, aber gerade diese Revitalisierung des Urgesteins deutschen Elektronikrocks ist für meine Heimatstadt Köln von Bedeutung. Man besann sich plötzlich, daß Ende der Sechziger Jahre alles von Köln aus seinen Lauf nahm und ließ der Band flux zu ihrem dreißigsten Geburtstag, auch wenn sie zwanzig Jahre davon nicht gemeinsam musiziert hatte, einen Platz im Goldenen Buch der Stadt reservieren. Und so konnte man Mitte März auf einem Foto in der Kölner Lokalzeitung die Männer von der Pionierelektronikkombo gemeinsam mit unserem Oberkölner Burger, jeder eine Stange Kölsch in der Hand, vor dem besagten Goldenen Buch für die Presse posieren sehen. Dreißig Jahre haben sie vom musikalischen Untergrund zur Hoffähigkeit im Rathaus gebraucht.

Eine kölsche Veranstaltung war auch das Konzert am Freitagabend, dem 26. März im Palladium. Das Publikum lag jenseits der fünfunddreißig, einige sahen sogar sehr weit jenseits aus, eine Handvoll von trendy Kids hatte sich dazugesellt, um die Großväter desTechno einmal zu sehen, schwarze, großenteils elegante Designerklamotten dominierten die Szene. Offensichtlich war "sehen und gesehen werden" an dem Abend alles, anders kann ich mir nicht erklären, warum sonst die vor der Konzerthalle liegende Flanierpassage mit Bars, Freßstand und Gaderobe mehr frequentiert war, als der Veranstaltungsraum selbst. Oder lag es an den teilweise schwer verdaubaren Klängen, die da aus der Dunkelheit herüberwaberten, mit denen das Ohr des DurchschnittsInKölners dann doch nichts anfangen konnte? Eine gewisse Erstauntheit, oder ein häufiges Baffsein der Zuschauer über die dargebotenen Sounds konnte man eh häufig beobachten. 

Waren Can in ihrer aktiven Zeit 1969/69 bis 1978 schon eine Band, an deren Groove und Sound man sich gewöhnen mußte, den man mag oder ablehnt, so ist das mit den an dem Abend aufgeführten Soloprojekten ähnlich, dominieren doch jeweils die Prägnanzen der einzelnen Musiker. Wer Can als Einheit auf der Retrowelle surfend erwartet hat, wurde enttäuscht. Can hat von der Improvisation und der Spontaneität der Musik gelebt und diese Faktoren leben von der Gemeinsamkeit des Zusammenspiels, das zwanzig Jahre nicht mehr stattgefunden hat. An dem Abend hat jeder Musiker in ungefähr 45 Minuten den derzeitigen Stand seiner Projekte dargestellt und somit dazu beigetragen, daß das Publikum eine große Bandbreite von elektronischer Musik bis hin zu Multimediadarbietungen genießen konnte. Und hier die Projekte im Einzelnen:

Holger Czukay

Mit "ich bin 61 und fühle mich unglaublich gut" eröffnete Czukay den Abend und das Programm. Seine Multimediashow "Magazine" präsentierte einen Fluß von Bildern aus der Vergangenheit der Band, Visionen, Farben und Formen, die mit der Musik harmonisierten. An dem Abend drosch der klassisch ausgebildete Musiker nicht auf vier Bassaiten herum, er hatte sich an einem Keyboard mit einer Menge von Zusatzinstrumenten niedergelassen. Dabei wurde Czukay als Soloartist nur vom Mixer für Sound and Vision unterstützt und holte sich bei zwei Stücken die Sängerin U-She auf die Bühne, die besonders glänzte, als sie das Stück "Sunday Morning" vortrug, gleichzeitig eine Hommage an Velvet Underground und die aus Köln stammende Nico. 45 Minuten sanfte elektronische Sounds, hier und da ein Drum'n'Bass Touch, sehr angenehm, was der Oldie des Quartetts an dem Abend an die Trommelfelle des Publikums brachte.

Michael Karoli

Auch wenn er mit der elektrische Geige an dem Abend seinen Set begonnen hat, der Sound und Aufbau seiner Band machte eines sofort klar: hier spielt der Ex-Gitarrist von Can. Michael Karoli hatte sich an dem Abend als Begleitung einen weiteren Gitarristen, Bass, Schlagzeug und Keyboards ins Boot geholt und wechselte selbst nach Belieben zwischen Gitarre und Geige, wobei er offensichtlich häufiger einen kleinen fight mit der Elektronik auszutragen hatte, denn sein Einsatz kam hier und da erst verspätet an. Aber als dann noch der alte Damo Suzuki auf die Bühne kam, um seine Vokalkünste vorzutragen, waren auch diese Probleme technischer Art sekundär, denn es entwickelte sich ein Soundgewitter zerrendster Art. Die zwei Gitarristen flangten und wahwahten um die Wette, Griffbrett rauf und runter, dazu die Stimme von Suzuki, die maximal Nostalgiefeeling zu verbreiten imstande war. Ich habe nur drei Stücke ausgehalten und bin dann auf die Flaniermeile gegangen, um mir die Leute ein bißchen anzusehen.

Irmin Schmidt

Nach dem vorherigen Inferno war es geradezu eine Wohltat, was da das Duo, bestehend aus Irmin Schmidt und dem japanische DJ Kumo, aus den Instrumenten herausschraubte, obwohl das Publikum beim Herumschauen scheinbar nicht viel damit anfangen konnte. Als sich die Musik jedoch mehr in Richtung tanzbare Beats entwickelte, kam im Palladium richtig Stimmung auf. Die Musik, der zwei Elektroniker war sehr eingänglich, was auch nicht verwundert, wenn man bedenkt, daß Schmidt in den Jahren einige Soundtracks für Filme geschrieben hat und somit bestimmt über das Gespür für die richtigen Klänge verfügt. Das Publikum jedenfalls fand es klasse und forderte am Ende lauthals Zugaben, die dann aber aus Rücksicht auf die letzte Band ausblieben.

Jacki Liebezeit

Er ist wohl mit seinem "Club off Chaos" der derzeit in der Kölner Szene noch präsenteste Musiker. Kacki Liebezeit hat mit diesem Projekt und auch mit der Band "Dunkelziffer" eingehend die Kölner Musikgeschichte mitbeeinflußt und steht mit seinem Sound für interessant interpretierte, rhythmische Musik. So auch an diesem Abend, wo er als Trio mit Dirk Herweg und Boris Polonski auftrat. Fette Beats, die das Publikum in kurzer Zeit in Tanzstimmung versetzten. So wurden die Menschen, die nach der Livemusik immer noch nicht genug hatten auch schon 'mal für die anschließende After-Show-Party mit prominenten Kölner Djs aus der Elektronikszene eingegroovt. 

Als Zugabe kam dann noch einmal Damo Suzuki auf die Bühne, um mit Liebezeit und Co ein bißchen zu improvisieren. Und nach einiger Zeit und einem intensiven Hinhören konnte man das klassische "Mother Sky" erkennen, das hier in einer Endneunziger Version aufgeführt wurde. Über vier Stunden "Can weiterentwickelt", wenn man so will. Interessant war es alle Male, verschiedenste elektronische Sounds für's Ohr, vom schwebenden Czukay zum zerrenden Karoli, und auch was für's Auge: die ganze coole Szene, die sich im "sehen und gesehen werden" sonnte. 


Copyright: Dr. Igüz 1999