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Nazis
in Wurzen – April 2001
hallo liebe leute,
ich schreibe euch
heute allen zusammen eine mail, weil ich euch allen
etwas berichten möchte,
was ich erlebt habe.
zum background: zur
zeit gibt es eine hip hop tour gegen rechte
gewalt, die durch
verschiedene städte ostdeutschlands geht. die tour
steht unter dem nahmen
‘die leude woll’n, dass was passiert’ (slogan
von fünf sterne
deluxe) und ist im rahmen der stern aktion ‘mut gegen
rechte gewalt’. ins
leben gerufen haben diese tour der stern und das
büro lärm,
für die ich diese tour als tourleitung begleite. wir sind
in städten wie
neustadt an der orla, wurzen, eberswalde, dessau und
bad salzungen, weil
dieses einige der brennpunkte sind, in denen die
nazis die überhand
gewonnen haben.
ich möchte euch
nun hier von unserem aufenthalt in wurzen am 21.april
2001 erzählen,
weil ich das gefühl habe, dass viel mehr menschen
darüber informiert
werden müssen, was in dieser stadt abgeht.
wurzen ist die erste
stadt, die sich national befreite zone genannt
hat. demzufolge gibt
es dort auch keine ausländer. es gibt keine
dönerbude, es
gibt kein ital. restaurant. das einzige
chinarestaurant, dass
es dort gab, wurde solange terrorisiert, bis
die inhaber flohen.
die anfangsbuchstaben vom happy house (name des
restaurants) wurden
stehen gelassen und stehe heute für heil hitler.
die nazis haben dort
einen ihrer treffpunkte eingerichtet, in dem sie
sogenannte heimatabende
verbringen.
als wir in wurzen
ankamen, war sofort klar, dass wir dort alles
andere als willkommen
sind. wir wußten zwar, dass wurzen mit der
härteste termin
auf unserem plan war, doch was uns dort erwarten
sollte, übertraf
jede vorstellung.
zunächst muß
gesagt werden, dass die veranstaltung open air war, da
die stadt keinen raum
zur verfügung stellen wollte. vor ort
organisierte das konzert
eine gruppe von antifa leuten, die (man kann
es gar nicht glauben)
in wurzen und umgebung wohnen. diese menschen
sind alle um die 20
jahre und wollen nicht aus wurzen wegziehen, da
sie sagen, dass sie
den kampf dann endgültig verloren haben.
unsere sprüher,
die fester bestandteil der tour sind, fingen um 14h
an, eine mauer, die
gegenüber des geländes an einer straße lag zu
bemalen. von anfang
an wurden sie von vorbeifahrenden nazis bedroht.
(heute nacht krieg
ich dich. ich töte euch. etc) von der vorher
abgesprochenen polizeistreife
zu unserem schutz war nichts zu sehen.
um ca 15h hielten
zwei polizeiautos vor der mauer. die polizisten
stiegen aus und verlangten
von den sprühern die sprüherlaubnis. reine
schikane, wenn ihr
mich fragt, denn logischerweise war die ganze
veranstaltung (also
auch das sprühen) genehmigt und angekündigt. von
anfang an trat die
polizei sehr unfreundlich und äußerst unkooperativ
auf. einer der sprüher,
der chinesischer abstammung ist, filmte die
ganze aktion mit seinem
camcorder. plötzlich nahmen die polizisten
ihn und wiesen ihn
an, ihnen ins polizeiauto zu folgen. es gab
überhaupt keine
erklärung bzw rechtliche grundlage zu dieser aktion.
ich versuchte herauszufinden,
was dem sprüher vorgeworfen wird, aber
schon bald war klar,
warum gerade er ausgesucht wurde. ich bekam
keine antworten auf
meine fragen. daniel (sprüher) mußte seinen film
löschen und seine
personalien angeben. dafür gibt es ebenfalls keine
rechtliche grundlage.
reine schikane! als mir einer der polizisten
dann sagte, dass der
sprüher dort festgehalten wird, weil er ja erst
einmal seinen namen
buchstabieren müsse (“oder können sie etwa
vietnamesisch?”),
war die situation kurz vor dem eskalieren. deshalb
und natürlich
auch, weil wir die presse hinter uns haben (stern und
focus waren anwesend),
wurde daniel schließlich wieder frei gelassen.
von da an war klar,
dass die polizei, die uns eigentlich beschützen
sollte, nicht wirklich
auf unserer seite steht. ein einsatzwagen
stellte sich dann
eine zeitlang neben die mauer, und tat so, als
würde er aufpassen.
einer der polizisten in diesem auto war der vater
des npd vorsitzenden
dieser stadt. ein weiteres beispiel für die
parteiorientierung
der polizei: ein einzelner nazi geht an ca 30
sprühern vorbei
und sagt ganz selbstbewußt, dass er heute nacht alle
tötet. dann geht
er um die ecke und begrüßt die schon erwähnten
polizisten.
das konzert verlief
reibungslos. wir bekamen so viel dankbarkeit
entgegen und merken
wie in neustadt, dass es so wichtig ist, etwas
für die menschen
zu tun, die gegen diese nazis kämpfen. ich habe
tiefsten respekt,
vor diesen leuten, die dort täglich verprügelt oder
aus bussen geschmissen
werden und den kampf trotzdem nicht aufgeben!!!
als das konzert zuende
war und der großteil des publikums zuhause und
die bands im hotel
waren, tauchten plötzlich ca 50 glatzen auf dem
großen parkplatz
vor dem konzertgelände auf. von der polizei war
zunächst nichts
zu sehen. unser sicherheitschef konnte die nazis mit
seinen leuten einkesseln
und eine straße hoch ‘treiben’. dann tauchte
auch die polizei auf,
die sich (mal wieder) äußerst unkooperativ
verhielt. doch nach
einem gespräch des einsatzleiters mit anetta
kahane von der amadeu
antonio stiftung, die während der ganzen tour
dabei ist, gaben die
polizisten ein versprechen, dass sie auf dem
parkplatz blieben,
bis alle beteiligten den ort verlassen hätten.
immer wieder taucheten
nazis aus der dunkelheit auf. im fünfer konvoi
fuhren wir (a. a.
stiftung, sprüher, focus fotograph und ich) dann
mehr oder weniger
fluchtartig mit unsrem sicherheitschef in unser
hotel, dessen besitzer
übrigens einen der npd jugendclubs durch
geldspenden unterstützt.
auf dem weg bekamen wir dann noch zum
abschied den hitlergruß.
ich finde es sehr
wichtig, dass ich möglichst vielen menschen
mitteile, was in dieser
stadt abgeht. wir erfahren viel aus den
medien, nehmen das
auf, und denken, dass das schon schlimm ist, aber
dass da ja eh nichts
passieren kann. das sind doch nur so ein paar
vollidioten, die so
denken. man kann sich das aber nicht vorstellen,
wenn man es nicht
erlebt hat oder jetzt hört. es ist wirklich so
schlimm. egal wohin
du guckst, es leben dort nur nazis (bis auf die
handvoll antifa leute).
der stadtrat, polizei – egal was – nazis! und
die, die keine glatze
oder hitlerfrisur tragen, verschließen die
augen. genau wie vor
50 jahren. das ist dort ganz schlimm und ich
wünschte mir,
dass viel mehr menschen davon etwas mitkriegen, damit
das problem ernst
genommen wird.
auch wenn ich in meinem
ganzen leben noch nie solche angst vor
menschen gehabt habe,
bin ich sehr froh, dass ich diese tour
mitmache. wie gesagt,
die menschen, die dort gegen die nazis kämpfen,
müssen viel mehr
unterstützt werden. ich würde immer wieder bei
dieser aktion mitmachen.
bei dem konzert waren
übrigens ca 400 leute, die richtig gefeiert
haben. denen war es
im prinzip auch total egal, wer auf der bühne
steht. hauptsache,
es wird was für sie getan.
ich hoffe, ich konnte
euch so einigermaßen eine vorstellung geben,
was in wurzen (und
nicht nur dort) abgeht. wenn ihr mehr über die
tour erfahren wollt,
guckt im internet unter www.eyedoo.de
www.buerolaerm.de
www.fourartists.com
www.amadeu-antonio-stiftung.de
oder kauft euch den neuen stern. da
steht ein bericht
über wurzen drin, den ich vor der tour reißerisch
fand, aber nach der
tour mit ganz anderen augen sehe.
bis dann,
macht es gut und denkt
mal drüber nach,
meike
Lieben Gruß
JAn
Copyright Text: JAn / Layout: Dr. Igüz 1998 – 2001 |