RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 01.06.07

GLOBALE ERWÄRMUNG

Klimasündern droht

Prozesswelle

Von Markus Becker

Für Stromversorger,

Autohersteller und Ölkonzerne birgt der Klimawandel gigantische Risiken.

In wenigen Jahren könnten sie sich wegen ihrer Umweltsünden mit

Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe konfrontiert sehen. Ist

das der Grund für Bushs plötzliche Klima-Offensive?

John Banzhaf ist kein Mann

der unbedachten Worte. Wenn der Rechtsprofessor der George Washington University

eine Frage beantwortet, wirkt das meist, als habe er eine Nacht lang an

den Sätzen gefeilt, sie dann auf eine Marmorplatte gemeißelt

und lese sie nunmehr vor. “Manche haben geglaubt, man könne Zigarettenhersteller

nicht wegen Krebs verklagen. Sie lagen falsch. Andere haben behauptet,

man könne Nahrungsmittelunternehmen nicht wegen Fettleibigkeit verklagen.”

Banzhaf macht eine Kunstpause. “Sie lagen falsch.”

Banzhaf hat sich in den Prozessen

um Tabak- und Fast-Food-Opfer, die zum Teil zu milliardenschweren Entschädigungen

führten, einen Namen als Bezwinger von Wirtschaftsgiganten gemacht.

Demnächst könnten auf Massenklagen spezialisierte Anwälte

auch in den Vorstandsetagen von Autoherstellern, Stromversorgern und Ölkonzernen

Furcht verbreiten: mit teuren Prozessen um die Folgen des Klimawandels.

Inzwischen gilt als weitgehend

sicher, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen mitverantwortlich

ist für die globale Erwärmung. Umso wahrscheinlicher wird nach

Ansicht von Experten eine Flut teurer Klagen gegen die Hauptverursacher

der Misere. Umweltaktivisten und auch manche Wissenschaftler werden das

mit Freuden hören. Ihr Argument: Die Menschheit kann es sich nicht

leisten, jahrzehntelang auf die Ergebnisse politischer Verhandlungen zu

warten. Insbesondere die Tatenlosigkeit der Regierung von US-Präsident

George W. Bush treibt die frustrierten Klimaschützer und -opfer jetzt

in die Gerichte. Vor diesem Hintergrund erscheint der aktuelle Klima-Vorstoß

des Präsidenten (mehr…) in einem ganz anderen Licht – womöglich

reagiert Bush auch auf Druck aus der eigenen Wirtschaft und Industrie.

Die Klagewelle beginnt

Erste Ausläufer einer

möglichen Klagewelle gibt es bereits. Im April 2006 haben Anwälte

im Namen von Einwohnern des Bundestaats Mississippi, die ihr Hab und Gut

durch den Hurrikan “Katrina” verloren haben, 40 Öl-, Gas-, Energie-

und Chemieunternehmen verklagt. Der Vorwurf: Sie hätten zur globalen

Erwärmung beigetragen, die dem Hurrikan erst seine zerstörerische

Wucht verliehen habe. An einem New Yorker Bezirksgericht läuft eine

Klage von Connecticut und anderen US-Bundesstaaten gegen fünf Stromversorger

wegen der Folgen der Klimaerwärmung. Kalifornien hat gleich mehrere

Autohersteller wegen Folgen des Klimawandels verklagt (mehr…). Zugleich

sind mehr als ein Dutzend ähnlicher Verfahren an Staats- und Bundesgerichten

der USA anhängig.

Enorme Aufmerksamkeit erhielt

auch das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA gegen die US-Umweltbehörde

EPA (mehr…). Die Richter des Supreme Court zwangen die EPA nicht nur,

den Schadstoffausstoß des Straßenverkehrs zu regulieren – sondern

zogen auch eine direkte Linie vom Menschen zum Klimawandel. “Ein gut dokumentierter

Anstieg der globalen Temperaturen trifft zusammen mit einem erheblichen

Anstieg der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre”, hieß

es in dem Urteil. “Angesehene Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die

zwei Trends miteinander in Verbindung stehen.”

In Deutschland und dem restlichen

Europa halten Experten eine Klagewelle gegen Energieunternehmen zwar für

weitgehend ausgeschlossen, da das Rechtssystem hierzulande hohe Anforderungen

an den Nachweis von Schuld und Schadenshöhe stellt. Doch in den Vereinigten

Staaten liegen die Dinge anders – und die Entschädigungssummen mitunter

um ein Vielfaches höher.

Hürden hoch, aber nicht

unüberwindbar

Die Hürden für

Klima-Klagen sind freilich größer als bei den Prozessen gegen

Tabakkonzerne und Fast-Food-Ketten. So stellen sich gleich mehrere Probleme:

    * Die

Verantwortung für den Klimawandel: Tragen Öl- und Bergbauindustrie

eine Verantwortung an der globalen Erwärmung, da sie fossile Brennstoffe

bereitstellen? Oder sind diejenigen schuld, die Kohle und Benzin verfeuern,

angefangen beim Kraftwerksbetreiber bis hin zum Autofahrer?

    * Die

Kausalität: Es ist immens schwierig, einzelne Naturereignisse direkt

mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Hitzewellen, Stürme

und Überflutungen gab es immer schon, die Erwärmung kann nur

ihre Häufigkeit erhöhen.

    * Die

Entschädigungsfrage: Falls es überhaupt möglich sein sollte,

vor Gericht Schadensersatz zu erstreiten – wer sollte ihn dann bekommen?

Gäbe es nur Geld für diejenigen, die alles verloren haben, oder

auch für jeden Hausbesitzer mit vollgelaufenem Keller?

Juristen glauben, die Energiekonzerne

vor Gericht in die Knie zwingen zu können – mit der Guerillataktik,

die sich schon gegen Zigarettenindustrie und Fast-Food-Ketten bewährt

hat

In Punkt eins sieht Banzhaf

das größte Problem. “Die Beweisfindung ist bei den Folgen des

Klimawandels schwierig”, sagte der Jurist im Gespräch mit SPIEGEL

ONLINE. “Wie kann man deutlich machen, dass eine bestimmte Aktivität

Schaden verursacht hat?” Es sei inzwischen klar, dass das Verfeuern von

Öl oder Kohle etwas mit dem Klimawandel zu tun habe. “Die Frage ist

aber, was genau welche Wirkung hat.”

Es sei kaum vorstellbar,

dass es in den USA zu spektakulären Prozessen kommt, in denen Konzerne

unmittelbar wegen der Folgen des Klimawandels verurteilt werden. Doch das

sollte die Unternehmen keinesfalls beruhigen, glaubt Banzhaf. “Man muss

nicht immer einen Frontalangriff führen, um erfolgreich zu sein.”

Das sei bei den juristischen Kämpfen um Tabakkonsum und Fettsucht

nicht anders gewesen. “Es hat bisher acht erfolgreiche Fett-Klagen gegeben”,

so der Jurist. “Aber niemand ist verurteilt worden, weil er einen anderen

fett gemacht hat.”

Lernen vom Sieg über

die Zigarettenindustrie

Schon beim Rauchen hat es

diese Art von Domino-Effekt gegeben. Vertreter der Tabakindustrie haben

anfangs die Idee, Entschädigung für die Folgen des Rauchens zu

erstreiten, als bizarr verspottet. “Doch dann wurde die Werbung im Fernsehen,

anschließend das Rauchen in immer größeren Bereichen des

öffentlichen Lebens verboten”, sagt Banzhaf. “Und all das geschah

lange, bevor es zum ersten Prozess um Krebs durch Rauchen kam.” Am Ende

zahlten die Tabakkonzerne rund 300 Milliarden Dollar an Entschädigungen.

In der Debatte um Fettsucht genügte danach schon die Drohung einer

Klagewelle, um die Fast-Food-Ketten zu Imagekampagnen und dem Verkauf schlanker

Produkte zu treiben.

Die juristische Guerillataktik

hält Banzhaf auch in Sachen Klimawandel für erfolgversprechend.

Und sie ist bereits im Gange: Bei den derzeit in den USA laufenden Verfahren

wenden die Kläger eine ganze Reihe unterschiedlicher Rechtstheorien

auf den Klimawandel an. Zu den beliebtesten Taktiken gehört, Klimafolgen

– wie bei der Klage Kaliforniens gegen die Autohersteller – als öffentliches

Ärgernis zu bewerten. Auch der Vorwurf der Fahrlässigkeit und

Verbraucherschutzgesetze kommen in Frage. “Wenn ein Autohersteller etwa

empfiehlt, das in der Produktion ressourcen-intensivere Superbenzin zu

verwenden, obwohl auch Normalbenzin vollkommen ausreichen würde, könnte

das die Grundlage einer Klage sein”, meint Banzhaf. “Stellen Sie sich nur

die Wirkung vor!”

Andere Experten sind weniger

vorsichtig als Banzhaf. Sie halten auch den Frontalangriff für durchaus

erfolgversprechend. Der US-Jurist David Grossman etwa widmete dem Thema

schon im Jahr 2003 eine 62 Seiten lange Abhandlung im “Columbia Journal

of Environmental Law”. Darin kommt der Yale-Absolvent zu dem Ergebnis,

dass einige vorstellbare Arten von Klimawandel-Klagen “großes juristisches

Gewicht haben und erfolgreich sein könnten”.

Klagen von Insulanern und

Küstenbewohnern denkbar

Insbesondere Küsten-

und Inselbewohner sowie das vom auftauenden Permafrostboden geplagte Alaska

gäben vielversprechende Kläger ab. Potentielle Ziele seien Unternehmen

im Bereich der fossilen Brennstoffe, Stromversorger und Autohersteller.

Auch für die Berechnung von Entschädigungen hat Grossman schon

einen Vorschlag: Die Haftung könne man aufteilen – je nachdem, welchen

Marktanteil die Produkte einer verklagten Firma hatten oder wie viel CO2

bei ihrer Herstellung in die Atmosphäre gelangt ist.

Auch das verzwickte Problem

von Kausalität und Schuldzuweisung gilt vielen nicht als unlösbar.

Der britische Klimaforscher Myles Allen etwa fordert schon seit Jahren

vehement, Energie- und Autokonzerne vor Gericht zu zerren. Sein Argument:

Die wissenschaftliche Beweislage für deren direkte Mitschuld an der

Erwärmung werde immer dichter und habe bald den Punkt erreicht, an

dem sie auch vor Gericht bestehen könnte.

Ähnlich äußert

sich der britische Jurist Peter Roderick vom Climate Justice Programme,

das unter anderem von Greenpeace, dem WWF und der Heinrich-Böll-Stiftung

finanziert wird. “Die Beweislage reicht aus, insbesondere was den Zusammenhang

zwischen Treibhausgasen und Hitzewellen betrifft”, sagte Roderick zu SPIEGEL

ONLINE. Es sei “nur eine Frage der Zeit”, wann die großen Energiekonzerne

vor Gericht erscheinen müssten.

Allen verweist auf den Rekordsommer

von 2003, der in Europa unterschiedlichen Schätzungen zufolge 30.000

bis 70.000 Tote gefordert hat. Es war das erste Wetterereignis, das Forscher

direkt auf den Klimawandel zurückgeführt haben. “Wenn das durch

eine Vergiftung oder einen Chemieunfall passiert wäre, wären

sehr schnell Rechtsanwälte im Spiel gewesen”, sagte Allen dem Magazin

“New Scientist”. Im Fachblatt “Nature” argumentierte er, dass die Hauptverursacher

der Treibhausgas-Emissionen auch für steigende Versicherungsbeiträge

und fallende Immobilienpreise in Folge von Naturkatastrophen zur Kasse

gebeten werden sollten.

Warnungen aus der Versicherungsbranche

Solche Szenarien werden etwa

in der Versicherungsbranche durchaus ernst genommen. “Der Klimawandel ist

längst als Thema in den Vorstandsetagen der Großkonzerne angekommen,

nicht zuletzt wegen der Furcht vor Haftungsrisiken”, barmte etwa Brian

Storms, Vorstandsvorsitzender des Versicherungsmaklers Marsh, im Interview

mit der “FAZ”. Das Branchenblatt “Risk Management Magazine” warnte jüngst

unter dem Titel “The Heat is On” vor den Kosten der drohenden Klima-Prozesse.

Zugleich haben die Autoren Tipps, wie sich die Beklagten am besten verteidigen

können.

Einem Bericht des US-Magazins

“Businessweek” zufolge raten Anwälte den von ihnen betreuten Konzernen

bereits, ihre Kohlendioxid-Emissionen zu senken, um vor Gericht gute Argumente

zu haben. Eine ganze Reihe von US-Konzernen hat in den vergangenen Monaten

erstaunlichen Eifer an den Tag gelegt, umweltfreundliche Technologien anzukündigen

und generell den CO2-Ausstoß zu senken. Ein Zufall?

Auch die überraschenden

Rufe der US-Großindustrie nach gesetzlichen CO2-Emissionsgrenzen

entspringen womöglich nicht nur einem jäh erwachten Umweltbewusstsein.

“Wenn ein Ölkonzern vor Gericht von sich sagen könnte, dass er

alle Vorschriften beachtet hat, wäre das für das Gericht sehr

überzeugend”, kommentiert Staranwalt Banzhaf. “Der Druck auf den Kläger

würde sich erhöhen.” Vor diesem Hintergrund wirkt die Strategie

von Teilen der US-Industrie, Klimaschutzgesetze selbst anzuregen und eventuell

auch über die Lobbyarbeit zu beeinflussen, durchaus verständlich.

Das würde freilich wiederum

bestätigen, dass schon die Angst vor möglichen Prozessen für

Veränderung sorgen kann. “Prozesse sind eine machtvolle Waffe gegen

fast jedes soziale Problem”, sagt Banzhaf. Das zeige schon ein Blick in

die jüngere Geschichte: Ob die Umwelt- oder die Schwulenbewegung,

das Tabak- oder das Fettsuchtproblem – Gerichtsverfahren seien immer ein

wichtiger, wenn nicht gar der dominante Faktor gesellschaftlicher Veränderungen

gewesen.

Zudem – und das mag zunächst

seltsam klingen – sei der Rechtsweg auch vergleichsweise billig. “Geben

Sie zehn Millionen Dollar für eine Werbe- oder Lobbykampagne aus,

und sie erzielen fast keinen Effekt”, sagt Banzhaf. Eine juristische Initiative

für zehn Millionen Dollar bringe “more bang for the buck”.

 

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