RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 26.03.08

ARKTIS

Das schmelzende Paradies

Die Tundra strahlt in allen

Wildblumenfarben, Eisbären stecken ihre feuchte Nase in den Wind:

Vom kanadischen Québec aus führen Ureinwohner Touristen durch

die Arktis. Die geräuschvollen Spaßrituale der Inuit-Kinder

gehören zum Vorführprogramm.

Arctic Bay – Emily Emudluk

ist nicht schüchtern. Forsch tritt die junge Inuit ans Mikrofon und

erklärt, was Kattajjaq ist: “Früher, wenn die Männer wochenlang

auf Eisbären- und Narwaljagd waren, haben wir Frauen zu Hause nicht

nur gearbeitet.” Die Zuhörer spitzen die Ohren, und Emily lächelt:

“Wir haben auch Spaß gehabt.” Dann stellt sie sich so dicht vor ihre

Freundin Mae Ningiuruvik, dass sich die Gesichter der Mädchen fast

berühren. Und nun vernehmen die Zuhörer, die mit dem Schiff in

der kanadischen Arktis unterwegs sind, Geräusche, die sie diesen Teenagern

mit den Punkfrisuren nie zugetraut hätten. Rhythmisches Hecheln und

Grunzen erfüllt den Raum.

Kattajjaq, der Kehlgesang

der Inuit, ist Austausch von Atem und Tönen und muss so flüssig

sein, dass beide Sängerinnen wie eine klingen. Schnell finden Emily

und Mae den Takt und geben Klänge wie aus der Urzeit von sich. Dabei

sind ihre Minen so gelöst, dass man ahnt, dass Kattajjaq auch Nähe

und Vertraulichkeit bedeutet – bis eine der beiden die Konzentration verliert,

so wie jetzt Emily. Lachend tritt sie wieder ans Mikrofon. “Sobald man

denkt, ist’s aus”, sagt sie.

Ureinwohner üben Tourismus

Wer sich auf eine Arktis-Reise

mit dem Schiff begibt, lernt die Kultur der Inuit aus erster Hand kennen.

Das von den Ureinwohnern im Norden Québecs betriebene Unternehmen

Cruise North Expeditions will den Tourismus in der Arktis ankurbeln und

dabei junge Inuit in touristischen Berufen ausbilden.

Die dazu gecharterte “MV

Lyubov Orlova”, ein 100 Meter langes, zu Sowjetzeiten gebautes Schiff,

dient als schwimmendes Seminar. Zwischen den Orten Resolute und Kuujjuaq

lernen Emily, Mae und ihre Altersgenossen Tourismus “on the job”, und abends

sprechen sie über ihre Kultur. Mit Luxusdampfern hat die “Orlova”

nichts gemein: Die Einrichtung der Kabinen erinnert eher an den hausbackenen

Modernismus der späten Sowjet-Ära. Umso aufmerksamer aber ist

das russische Personal. Und die Küche ist einfach, aber gut.

Wettergegerbte Biologen und

Ornithologen übersetzen das Erlebte. So werden aus “diesen pinguinähnlichen

Vögeln” Dickschnabel-Lummen und aus dem Wasser unter der “Orlova”

der Eingang zur legendären Nordwestpassage. Devon Island, erklärt

Expeditionsleiter Brad Rhees, sei die größte unbewohnte Insel

der Welt: ein 66.000 Quadratkilometer großer, lebensfeindlicher Felsen,

auf dem Nasa-Forscher Trainingsprogramme für Expeditionen zum Mars

ausprobieren.

 

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