RootZ Aktion – RootZ Goes Yard – Reisebericht von Leznub – Part 2



 

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Aktion
 

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RootZ  
Goes   Yard


Reisebericht
von Leznub – Part 2

Kingston,
J.A., 1. Februar 2003, 20 Uhr abends – 25 Grad Celsius

“Home, sweet home” waren
Evertons Worte, welche mich aus meinem Halbschlaf rissen, der mich bei
unserer frühabendlichen Autofahrt übermannt hatte und in einen
Zustand des ständigen aber ungleichmäßigen Wechsels zwischen
süßen Südseeträumen und ruckeliger J.A.-Road-Wirklichkeit
versetzte. 

Aufgrund einiger Zwischenstops
waren wir dann endlich nach guten vier Stunden Fahrt von Montego Bay in
der Hauptstadt Kingston, Stadtteil Crossroads angekommen. 


Es war schon stockduster
und außer der Artikulierung einiger  Grunz- und Stammellauten
war ich zu nichts mehr in der Lage. Trotzdem mußten wir uns noch
ein letztes mal für diese Nacht in Bewegung setzen. Nachdem wir durch
ein rustikales und mit zwei Schließmechanismen bewehrtes Holztor
das Grundstück betreten hatten, passierten wir einen kleinen, mit
einer Hecke eingefassten Blumengarten welcher links und rechts auch noch
von höchst amtlichen und ordentlich großen Bäumen, Mangobäumen,
wie ich später erfuhr, gesäumt wurde. Wir stahlen uns leise über
den Hof, begleitet von den im lauen Wind raschelnden Blättern. An
der hinteren Ecke des einstöckigen, mit einer großen Veranda
umringten Hauses zeigte mir Everton mein Zimmer. Es war ungefähr 10
Quadratmeter groß, wobei gute 8 Quadratmeter von einem monströsen,
aber durchaus bequem wirkenden Bett eingenommen wurden. Es war ein prächtiger
Anblick, lang ausstrecken und schlafen dachte ich so bei mir und schlief
fast im Stehen ein, schaffte es dann aber doch noch mit einer fokussierten
Willensstärke, mich in die Horizontale zu begeben. 

Nach nur kurzer Schlummerzeit
erklang ein penetranter Ton, der mir leider all zu bekannt war: das nervtötende,
hochtonige Schwirren von Moskitos. 


 

 



Blutsauger
Leider war ich
aber weder in der Lage ein Stechbiester abwehrendes Teufelszeug aus dem
Hause Bayer (deren Werbung für Insektizide in Chile lautete: „Der
Tod ist ein Meister aus Deutschland.“) aufzutragen noch das vorsorglich
eingepackte Mosktionetz (nicht aus dem Hause Bayer) zu montieren. Also
zog ich mir irgendwas über den Kopf, überließ den Rest
meines ermatteten Luxuskörpers dem Willen JAHs und stellte mir zur
Beruhigung vor, noch nie was von Moskitos, geschweige denn von ihrer Blutrünstigkeit
gehört zu haben. 

 

Ein klassicher
Fehler, wie sich am nächsten Morgen anhand meiner Füße
erkennen und juckenderweise auch spüren ließ.


Es war mir eine Lehre. 

Noch vor dem Frühstück
montierte ich das Moskitonetz, ohne das ich mit Sicherheit dem zukünftigen
nocturnen Wahnsinn anheim gefallen wäre! Der Zustand meiner zerstochenen
Gehwerkzeuge war jedoch kein Hindernis, die Gegend rund um das Haus zu
erkunden.



Das montierte Moskitonetz

Der Stadtteil Crossroads
liegt ungefähr in der Mitte der jamaikanischen Hauptstadt, über
die Slipe Road kommt man von dort in südliche Richtung fahrend nach
Down Town mit Hafen und Altstadt. In den Straßen der Altstadt versammeln
sich täglich Hunderte fliegender Händler mit ihrem bunten Sortiment
und bieten ihre Waren auf dem Bürgersteig oder sonst wo am Straßenrand
sitzend, an. 


 



Half Way Tree Road

Nördlich von Crossroads,
verbunden über die Half Way Tree Road bzw. Old Hope Road, türmt
sich New Kingston auf, das sich durch seine weit sichtbaren Büro-
und Hotelhochhäuser auszeichnet. Allerdings hat New Kingston nicht
mal ansatzweise soviel Charme wie die Altstadt. 


 

Eingeklemmt
zwischen diesen beiden nicht nur städtebaulichen Gegensätzen
liegt nun der dem Mittelstand zugerechnete Stadtteil Crossroads. Prägnant
an dieser Gegend sind die recht gut florierenden, kleinen Industriegebiete,
die sich, stetig expandierend, immer weiter in die bisher als Wohngegend
genutzte Nachbarschaft fressen. Das ist ein Punkt, der den noch in dem
Viertel lebenden Menschen mehr oder weniger ein Dorn im Auge ist, da sie
befürchten früher oder später zwangsweise umziehen zu müssen.


Markthändler

Glücklicherweise war
in unserer Straße akustisch wenig von dem geschäftigen Treiben
ringsherum zu spüren.  Ein unüberhörbarer Grund dafür
war wohl auch die kleine Bar auf der anderen Straßenseite meiner
Herberge. Selbst bei geschlossener Tür und zugeklapptem Fenster war
die Lautstärke immer noch der einer bis zum Anschlag aufgerissenen
Boombox, oder wie die Dinger heutzutage genannt werden, ebenbürtig. 

Zu meiner großen Freude
lief dort fast rund um die Uhr gute Musik, dank Irie FM, ein in weiten
Teilen des Landes gern gehörter Volksmusiksender jamaikanischer Kulör.
Neben dieser recht lauten und ständigen, zwischen Roots Rock Reggae
und Dancehall wechselnden, Beschallung gab es für andere Geräuschquellen
aus den umliegenden Produktionsbetrieben zum Glück kaum ein Durchkommen
zu humanoiden Hörrezeptoren. Es sei denn bei dem Störgeräusch
handelte es sich um den erbaulichen Klang einer Autoalarmanlage, welche
(zumindest die in Jamaika vorkommende Art) nach meinen Erfahrungen selbst
tote Fische, die ja bekanntlich schon zu Lebzeiten taub sind, wieder lebend
und zudem hörend machen kann. Verschiedene Meeresbiologen planen…
aber das ist ein anderes Thema… 


 



Der Eingang zu meiner
Herberge

Diese in allerlei hysterisch
kreischenden Varianten erhältlichen Warnsysteme scheinen leider den
Sportsgeist in so manchem Autofahrerherz erweckt zu haben. Das stellt sich
dann folgendermaßen dar: Der von Diebstahlssorgen gezeichnete jamaikanische
PKW-Besitzer macht sich mit großem Genuss daran, ein möglichst
lautes und penetrantes Geräusch mittels seines Car-Saftey-Systems
erklingen zulassen. Das ganze passiert dann mindestens dreiundzwanzig mal
am Tag, bei einer urchschnittlichen Dauer von 5-8 Minuten pro Vorführung.
Besonders schön an diesen Klangexperimenten ist die Tatsache, dass
sie nicht zu den vielen Geräusche gehören, die sich einfach so
in den Alltag integrieren lassen, auch nach gut einem Monat waren sie für
mich noch immer ein Grund entweder wie vom Blitz getroffen zusammenzufahren
oder unter panischen Anstalten das Weite und damit die Ruhe zu suchen.

Wenn die Herren (und Damen
?!) Alarmanlagenbesitzer dann aber mal Ruhe gaben, weil sie vielleicht
gerade einen zusätzlichen Signalverstärker montieren mussten,
gab es auch (nicht wenige) Momente gesteigerten akustischen Liebreizes:
Zu der eben erwähnten Irie FM Dauerabspiel-Bar genau gegenüber
gehörte noch ein regelmäßig genutztes Rehearsal-Studio.
Dort begab es sich dann gut zweimal die Woche, dass ein namhafter Künstler
dort sein Set für die kommenden Tournee einstudierte. 


Prompt wurde ich dann an
zwei angenehm windigen Südseeabenden Zeuge der Tour Vorbereitung des
Sangesmeisters Glen Washington samt seiner Kapelle. Nicht nur ich, sondern
auch die meisten Anwohner waren von diesem Privileg, kostenloser Zuhörer
zu sein, reichlich angetan. 


 



Das Rehearsal Studio

Überhaupt war die gegenüberliegende
Straßenseite mit dem Bar- und Probestudio “Komplex” höchst interessant
da sich an der linken Seite des Grundstücks auch tagtäglich Männer
versammelten. Dort saßen sie dann und je länger sie saßen
und je mehr heiliger Rauch aus vasenähnlichen paperumwickelten Gerätschaften
aufgestiegen war, um so heftiger diskutierten sie über größere
und kleinere Probleme der Welt. Zu Beginn meines Aufenthalts kam mir das,
dank meiner europäischen Zartheit (Hüstel, Hüstel), schon
ziemlich merkwürdig vor. Warum schreien die denn so? Zudem kam noch
das anfängliche Problem der mitunter recht flinken Zunge des Jamaikaners
folgen zu können. Ich vermutete daher natürlich gleich das Schlimmste.
Aber wie man mir sagte und ich später auch selbst feststellte: dies
war und ist die übliche Art eines jamaikanischen Meinungsaustauschs.
Laut aber friedlich.

Grundsätzlich gab es
einige Verhaltensweisen der Jamaikaner, die für mich als verhätschelten
Mitteleuropäer schon fremdartig, aber nie wirklich bedrohlich anmuteten.
Der/Die BewohnerIn der kleinsten der drei großen Antillen ist von
Natur aus sehr offen und direkt, es wird nicht wie bei uns oft üblich,
herum gefaselt, taktiert und versucht dem Gegenüber durch irgendwelche
persönlichen Bemerkungen z.B. über sein Aussehen, Verhalten,
etc.. ja nicht zu nahe zu treten. Wenn nun aber dem Jamaikaner etwas stinkt
oder es ihm gerade beliebt einen deftigen Witz über z.B.: die Frisur
des Gegenüber zu reißen, dann tut er das auch. Allerdings nicht
mit der Absicht die Person zu kränken sondern einfach um des Scherzens
willen. Und wenn der Gesprächspartner schlagfertig genug ist dann
gibt er eben kontra, was allerdings nicht bedeutet, daß es zu Mord
und Totschlag kommt.

Im Kontakt mit den Inselbesuchern
ist dieser Habitus natürlich von enormen Vorteil, trifft nämlich
ein robust auftretender Jamaikaner auf einen verschüchtert wirkenden
Urlauber (in den meisten Fällen, so meine Erfahrung, sind sie es auch,
sofern sie sich außerhalb des von ihnen als sicher eingestuften Hotelbereichs
bzw. klimatisierten Panoramabusses befinden) so ist es nicht selten, daß
der/die Urlauber/in um einige Jamaikadollar erleichtert wird. Nur weil
ihnen schroff “Gimme som’ money, mon!” entgegen geraunt wird und aus lauter
Furcht, ein Opfer von was auch immer zu werden, die Scheine von einem Besitzer
zum nächsten zu wandern beginnen.

Natürlich habe sogar
ich in einigen Fällen Kohle springen lassen aber in mindestens ebenso
vielen Fällen auch nicht und nie ist mir irgend etwas geschehen, vorausgesetzt
natürlich dabei den anderen respektvoll zu behandeln, was ja selbstverständlich
ist.

Es scheint nicht nur auf
Jamaika, sondern in vielen wirtschaftlich armen Urlaubsländern, ein
Sport zu sein, Touristen zu übertölpeln,  zumal es einige
Feriengäste auch geradezu darauf anlegen. Wäre ich Bewohner eines
solchen Landes würde ich auch alles daransetzen, mindestens zum Meisterabzieher,
wenn nicht gar Prinz aller Abzieher zu werden, denn so leicht verdientes
Geld ist durchaus eine Verlockung.


Copyright Bilder / Text:
Leznub / Layout: Doc Highgoods 2003
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