Campingsafari am Fühlinger See Ein Erlebnisbericht



 


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Campingsafari
am
hlinger
See

Ein
Erlebnisbericht

Freitag, 4. Juli 1998, 16
Uhr. Ich biege ein auf die Neusser Landstraße, die mich und mein
Gefährt zu den extra für das Festival bereitgestellten Parkplätzen
bringen soll. Nachdem ich an zwei schon vollen Standplätzen recht
harsch abgewiesen wurde, hatte ich bei Nummer drei etwas mehr Glück
und konnte meine Blechbüchse abstellen.

Das Gepäck geschnappt
und ab geht’s zum Shuttlebus, der es in komfortabeler Art und Weise ermöglichen
soll, das Gelände, wo die Musik spielt, komfortabel zu erreichen.
Aber an der Haltestelle kommt das Entsetzen; hunderte von Leuten haben
das gleiche Ziel, wie ich und der Shuttlebus wird zur Shuttleschnecke,
Menschen- und Gepäckmassen, sowie Kollege Individualverkehr zwingen
das Gefährt, entliehen von den örtlichen Verkehrsbetrieben, zu
Schrittempo.

Am Festivalgelände angekommen
heißt noch lange nicht, auf dem Festivalgelände angekommen.
Anlaufpunkt ist ein gesponsortes knallgelbes Zelt, an dem mensch sich informieren
kann, wo das Zelt am günstigsten steht. Das bedeutet in diesem Zusammenhang
soviel wie “in der Nähe des Eingangs vom Konzertgelände im Gewühle
und Gestank” oder “in annehmbarer Umgebung, die als Camping durchgehen
kann, dafür soweit vom Eingang weg, daß ich mir mein Blasenpflaster
schon ‘mal einpacken kann”.

Ich errichte mein Lager in
der Kompromißzone zwischen den zwei geschilderten Szenarien und mache
mich gegen 20 Uhr gen Musikgenuß auf, überzeugt davon, daß
ich die schlimmsten Hürden genommen habe. Leider weit gefehlt, wie
ich an der Eingangsschleuse zum Gelände feststellen muß. Eine
Traube hunderter von Menschen steht davor und verlangt zurecht Eintritt
ins Gelände. Schließlich haben sie um die hundert Maak für
diesen musikalischen Genuß bezahlt.

Zähneknirschend stelle
ich mich mit meinem Ticketgutschein dort an, was am ehesten als das Ende
zu erkennen war und bereite mich darauf vor, eine längere Zeit in
äußerst engem Kontakt mit Bredrens und Sistrens zusammen zu
warten, auf die Konzertinsel vorgelassen zu werden, denn merke: oben beschriebene
Afrikainsel habe ich noch garnicht erreicht.

Langweilig wird es während
des Wartens nicht, denn die Menschenmasse darf immer wieder irgendwelchen
Festivalhelfern in ihren Blechkarossen ausweichen, die wichtig, wichtig
auch nicht davor zurückschrecken, im Schrittempo in eine Menschenmenge
zu fahren, nur um sie zum Beiseitegehen zu “ermutigen”. Spannend ist das
noch zusätzlich, denn nach jedem Vehikel kommt die Frage: habe ich
jetzt Raum gen Konzert gewonnen oder verloren?

Nach vielen Körperkontakten,
aber auch -gerüchen und noch viel mehr Sprüchen aus den Mündern
des Multikultipublikums habe ich es geschafft, zum Chef (R.A.D.-Security
nannten sie sich) vorzudringen und was muß ich hören? Ich stünde
hier falsch, ich müßte zur Kasse, um dort das Originalticket
zu bekommen, um mit dem Originalticket dann wieder anzustehen und um von
ihm dann ein Originalfestivalplastikbändchen zu bekommen. Geil, was?
Und dann dürfte man übrigens auch auf das Gelände. Neben
mir stehen noch mehr Menschen mit dem gleichen Schicksal und so können
wir einen Keil bilden, um gegen den Menschenstrom ankommen zu können,
erreichen so in einer kurzen Zeit das Kassenhäuschen, um dort für
die Originaltickets anzustehen. Das geht aber recht fix, wir bilden wieder
einen Keil und sind somit innerhalb von zwanzig Minuten wieder an der Position
vor dem Securityfreak.

Dieser ist völlig überfordert,
denn für hunderte wartende und sowieso undisziplinierte Musikfans
gab es nur sage und schreibe zwei Eingangskanäle. Also störten
sich die Leute nicht an Absperrungen, sondern übten ein wenig Hürdenlauf,
um wenigstens etwas voranzukommen. Unser Freund von der Security fragt
zwar die sportlichen Hürdenbläufer, “eh, haste ‘ne Karte”, aber
für eine Verfolgung des Frevlers scheinen seine Energie oder Motivation
nicht auszureichen.

Ärgerlich, denke ich
mir, einmal haben die sportlichen Fans keinen Hunni Eintrittsgelder gelatzt
und zum zweiten sind sie dann auch noch schneller auf dem Gelände.
Aber die Welt ist nun einmal so ungerecht. Ich stehe brav in der Schlange,
zeige meine Originaleintrittskarte vor, lasse diese abreißen und
mir mein Plastikbändchen um mein linkes Handgelenk schlingen. Dann
noch der Body- und Taschencheck, neben mir wird einer vom Gelände
geschickt, weil er ein Zelt bei sich hat, ein anderer muß sein Büxbier
noch leeren, aber ich kann unbescholten endlich gen Brücke, die das
Festland mit der Afrikainsel, dem gelobten Reggaeland für die nächsten
zwei Tage, verbindet, schreiten.

Kurz vor zehn Uhr abends
ist es dann soweit, ich laufe auf dem Eiland die Freß- und Konsumzeile
ab, um mir vor der für zehn Uhr angekündigte Asian Dub Foundation
noch einen Überblick zu machen und einen Happen Exotisches auf meiner
Zunge zergehen zu lassen.

Das Essen vergeht einem aber
sofort nach einem tiefen Atemzug, denn über dem gesamten Gelände
liegt ein richtig schön penetranter Geruch von Kacke, der auch von
den intensivsten Essens- ioder auch Ganja- bzw. Haschgerüchen nur
vermischt, aber nicht überdeckt werden kann. Darum: Verzehr lieber
später, erst ‘mal die Zeltbühne und ADF auschecken.

Schon von Weitem höre
ich, daß dieser Sound bestimmt nicht von der indo-angelsächsischen
Combo, die ich erwarte, stammt, und die Annahme wird bei Betrachtung der
Bühne bestätigt. “Programmänderung.” heißt es auf
Nachfrage. “Das sind die Iration Steppas”. Obwohl die Jungs eigentlich
später spielen sollen, bringen sie das Zelt in Stimmung und als dann
ADF gegen Mitternacht die Bühne erklimmen, ist es recht voll, die
Qualmdichte gestiegen und das Publikum in rhythmischer Bewegung.

Und schon wieder Security:
Bei einem Tune, der rassistische Vorfälle in England auf’s Korn nimmt,
beschwert sich der Sänger von ADF, daß die Security sie sehr
schlecht behandelt hat, als sie das Gelände betreten wollten. Aber
da sie schließlich auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stehen,
ist es wohl ein Vorfall, den man nicht überbewerten sollte, obwohl
es auch schon in den Vorjahren immer wieder Beschwerden über die Sicherheitsfuzzis
gab.

Nach etwas mehr als einer
Stunde ist nicht nur die Show der Band, sondern ich mindestens genauso
fertig, so daß nur noch der lange Heimweg ins Zelt ansteht. Dort
werde ich von den Bässen der umliegenden Soundsystems, die mit Lautstärke
und auch Volumen der tiefen Frequenzen um die Sympathie der Zuhörer
zu buhlen scheinen. Und ich armes Würstchen befinde mich in der Schnittmenge
mindestens dreier solcher Bassproduzenten, so daß mein Trommelfell
völlig irritiert ist und nicht weiß, auf welchen Sound es sich
denn eichen soll. Aber irgendwann findet mein Hirn dann doch Schlaf und
ich träume von einem rot-gelb-grünen Presslufthammer, der eine
mannsdicke Stahlbetondecke unter sich als Opfer hat und diese bis zum Zersplittern
maltraitiert…


Samstagmorgen begrüßt
mich kein stahlblauer, sondern leider nur der bekannte bleigraue Himmel.
Ich krieche aus meinem Schlafsack und mache mich auf den langen Weg ins
Schwimmbad, um meine Morgentoilette hinter mich zu bringen. Interessant
ist, wie die vielfältigen Gerüche, die da am Wegrand lagern auf
meinen noch allso nüchternen Magen wirken. Von Magengrummeln durch
Hunger, wenn die leckeren Mahlzeiten ihren Odor an meine Nasenschleimhäute
führen, bis zum Niederkämpfen der aufsteigenden Magensäfte
durch übelste Fäkaldünste ist die ganze Palette vertreten,
jedenfalls bin ich froh, als der quasi-neutrale Geruch des Chlors aus dem
Schwimmbad meine Nüstern füllt.

Ab unter die kalte Dusche,
aber nur so lange, wie ich meinen Schniedel noch wiederfinden kann, die
Fresslatte poliert und ab zurück zum Zelt. Witzig ist, daß die
Intensität der Gerüche auf dem Rückweg offensichtlich abgenommen
hat, jedenfalls reagiert mein Magen viel neutraler, als noch vor dreißig
Minuten.

So kann ich dann auch, wieder
am Zelt angekommen, ohne Probleme mein Vollkornbiomüsli zu mir nehmen
und es auch bei mir behalten und dann, gestärkt von soviel Biodynamik,
meine lange Wanderung zur Afrikainsel in Angriff nehmen. Dabei werden meine
Augen nicht müde, all die Sinneseindrücke, wie Poster, Klamotten,
jede Art von Rauchgeräten, Platten, CDs, Videos und und und, aufzunehmen.
Mit dem Verarbeiten dieser Netzhautreize ist das jedoch schon eingeschränkter:
Natürlich ist die Synapsenschaltung durch die obligatorische frühmorgenliche
Einnahme von THC in Form von bestem Marijuana etwas anders gepolt, als
sonst. Und so kommen diese ganzen Umweltreize nur noch als Matsch in den
Farben rot, gelb und grün an. Den Soundtrack zu diesem Privatfilm
bieten die unzähligen Soundsystems und Musikhändler die in einem
unbegreifbaren Eifer die ganze Zeit versuchen, sich gegenseitig zu übertönen.

Die Menschenschleuse an der
Brücke zur Insel, sozusagen das Portal zum Heiligen Land eines Reggaefans,
sammelt wieder einen immensen Menschenstau vor sich an, der nur sehr langsam
durch zwei geöffnete Schleusen von sechs vorhandenen ablaufen kann.
Die Menschen fühlen sich wie eine Herde Rindviecher, die zusammengetrieben
wurde, um ein Brandzeichen oder eine Impfung gegen BSE zu erhalten. Egal,
der Cowboy in schwarzer R.A.D.-Jacke kennt kein Erbarmen, ist hart, wie
der populäre Marlboro-Man, den wohl jeder schon auf der einen oder
anderen Plakatwand hat reiten sehen. Aber heute ist mir das Glück
hold, ich scheine in der richtigen Strömung von Menschenkörpern
ztu stehen, jedenfalls habe ich das Hindernis “Rinderkraal” schon nach
einer dreiviertel Stunde hinter mir und schlendere gemütlich in Richtung
Open-Air-Bühne, denn dort spielen “Lion of Judah”, von denen ich mir
erhoffe, den musikalischen Teil des Tages, cool und mit den richtigen Vibes
zu beginnen.

Das Musikprogramm soll hier
an dieser Stelle auch nicht weiter interessieren, dafür gibt es Profis,
die das beschreiben und dafür ihre Rubrik haben. Eine Sache möchte
ich allerdings noch loswerden: Schade ist schon, daß man sich auf
Musiker oder Bands freut und es jedes Jahr die gleiche story ist – eine
Handvoll der angesagten Combos fällt einfach ersatzlos aus. Somit
riskiert der Veranstalter über die Zeit einige der über Jahre
treuen Fans zu verlieren, auch wenn ihn vielleicht garkeine direkte Schuld
trifft. Contour sollte ‘mal darüber nachdenken, ob es sich nicht anbietren
würde, für solche Ausfälle immer ein paar lokale Bands in
der Hinterhand zu haben.

Nachdem ich mir zwei Bands
angesehen habe, merke ich so langsam, daß auch das biodynamischste
Müsli irgendwann verdaut ist und mache mich auf, in der Freßmeile
nach etwas Leckerem Ausschau zu halten. Wenn man sich hier die Preise betrachtet
und dann noch die Größe und die Qualität der erworbenen
Portion anschaut, dann kann man ins Denken kommen, daß die Händler
an diesem Ort offensichtlich ihr Jahresgeschäft im Auge haben und
nach Ende des Festivals für einige Monate nur noch Eier schaukeln
müssen. 4,50 DM für braunes Wasser namens “Kaffee”, 9 DM für
ein Taco gefüllt mit Reis- und Bohnenpampe und einer Faser Thunfisch
oder Hühnerfleisch, in einer Größe, die vielleicht kleinwüchsigen
Liliputanern imponieren könnte. Satt macht so ein Teil jedenfalls
nicht, eher Bock auf mehr.

Das Saufen habe ich mir abgewöhnt,
nein nicht aus Kostengründen, sondern weil jeder für sich wissen
muß, womit er sich bedröhnt. Würde ich jedoch soviel saufen,
wie ich zu solch einem Festival rauche, dann müßte ich nach
der Veranstaltung meinen Dispokredit aufstocken lassen, das ist gewiß.
Und noch gewisser ist, daß das garantiert nicht nur an der weggeschluckten
Menge, sondern auch an dem dafür gezahlten Preis liegt.

Zeit gibt es für den
Mittagssnack mehr als ausreichend, ich schaffe es sogar, auf der Wiese
ein noch nicht allzu zertretenes Fleckchen Rasen zu okkupieren und meinen
schweren Kopf für einen Kurzausflug in das Land der Träume zu
betten. Zeit deswegen, weil die Pause zwischen den Bands sich nicht auf
die dreißig Minuten technischen Umbaus beschränkt, nein sie
ufert auf fast dreieinhalb Stunden aus, weil eine Band nicht rechtzeitig
eingetroffen ist und der Veranstalter offenbar ein so starres Programmschema
fährt, das keine Ersatzmöglichkeit vorsieht.

Aber irgendwann geht auch
das Programm weiter und die Leute beruhigen sich, einerseits ob des mitgebrachten,
grünen und aromatisch riechenden Sedativums, andererseits ob der beruhigenden
Sounds, die von der Bühne kommend ein Gefühl einer Zeitreise
in die Achtziger Jahre des Reggae vermitteln, demm fast alle Bands des
Festivals könnten unter dem Motto “Oldies, but Goldies” laufen.

Schön ist, daß
das Wetter bisher mitgespielt hat. Trotz sehr bedrohlich wirkender Wolkenszenarien
ist bisher noch kein Tropfen Regen gefallen und auch alle Wiesen und Wege
sind anstandslos benutzbar und das trotz all dieser Tausenden von Füßen,
die darauf herumtrampeln.

Zwar sagt man so schön:
“Don’t step on the grass – smoke it!”, aber mittlerweile weiß wohl
jeder Dämel, daß damit nicht ein und dieselbe grüne Materie
gemeint ist. Ich laufe ohne Schuldgefühle Grashalme unter den Sohlen
meiner Reeboks zermalmend los in Richtung Zeltbühne, um dort eine
meiner Lieblingsbands zu genießen.

Unterwegs spähe ich
nach einem Gaumenschmaus und denke mir, daß ich den kommerziellen
Aspekt der Preise einfach ‘mal außen vor lasse, um nicht zu verhungern.
So stehe ich plötzlich vor dem Chinesen, dessen Gerichte offensichtlich
am besten gewürzt sind, denn hier ist kaum Fäkalgeruch zu verspüren.
Also haue ich rein und lasse es mir trotz gesalzener Preise und versalzener
Speise schmecken, der Magen würde eine Alternative auch garnicht zulassen
und knurrt schon fast so laut, wie die immensen Bassboxen der Beschallungsanlage
an der Hauptbühne, sprich, kann man der Boulevardpresse glauben, ist
mein Magen sogar auf der anderen Seite von Papa Rhein zu hören.

Meine Lieblingsband ist “echt
fett eh”, wie man es modern ausdrückt. Zwar sind sie von der Hauptbühne
ins Zelt verlegt – Bestrafungsaktion für’s Zuspätkommen? – aber
das ist ein Geschenk von Jahjah, denn in der Heimeligkeit des Zeltes sind
alle Acts besser, als auf der großen Bühne, wo ein recht breiter
Graben Publikum und Künstler trennt und sich die Musik durch die Höhe
der Bühne quasi in der zweiten Etage abspielt. Mit anderen Worten:
allein dieser Auftritt kompensiert schon für einiges Unangenehme dieses
Festivals kompensiert.

Im Anschluß gibt es
im Zelt wieder Musik aus der Konserve, nicht so interessant für mich,
so daß ich mich für den Hauptact des Tages auf der großen
Bühne entscheide. Allein der Weg, vielleicht vierhundert Meter, ist
ob der Menge Mensch eine Tortur und entwickelt sich zur abendfüllenden
Beschäftigung. Nachdem ich im Zelt schon einen Freund nicht gefunden
habe, nehme ich mir vor, das Treffen einer Bekannten, auf das ich mich
schon den ganzen Tag freue – hechel, hechel – besser zu vergessen, wie
soll ich zu unserem Treffpunkt gelangen? Zwischen mir und dort befinden
sich tausende von Leibern, die sich im Sound der Musik bewegen und ich
bleibe an der Seite der Bühne stehen, denn das ganze Feld direkt davor
ist so voll, daß “Sardinen in der Büchse” als Umschreibung der
Ansammlung kaum noch angemessen scheint.

Um elf Uhr ist Schluß.
Wie üblich wird sich auf die lokalen Behörden berufen, die sonst
im nächsten Jahr Ärger machen würden und und und. Dabei
hat diese Band gerade ‘mal knapp eine Stunde gespielt. Dann noch die drei
Stunden Pause während der Mittagszeit miteinbezogen, fühlt mensch
sich schon ein wenig abgezogen, auch wenn andere Dinge wieder für
einen Ausgleich sorgen.

Ich denke mir, daß
es am besten ist, einfach schlafen zu gehen und den Sonntag frisch und
aufgewacht zu begrüßen. Also mache ich mich auf zu meinem langen
Heimweg, der mich einmal wieder durch die Viehschleuse führt, wo die
Cowboys von R.A.D. Security noch immer mehr schlecht als recht ihren Dienst
schieben. Naja, ich wäre wahrscheinlich bei den Menschenmassen um
mich herum auch müde, jedem Hürdenspringer hinterherzuhechten
oder jede noch so blöde Frage nett und zuvorkommend zu beantworten.
Am Zelt angekommen kümmere ich mich noch um die äußere
Hygiene, für die ich noch einen kurzen Abstecher ins Schwimmbad unternehme
– brr, wieder kaltes Wasser – und dann höre ich schon von der Entfernung
meinen Schlafsack rufen, wo ich denn bleiben würde. Und dieser Tag
hat mich offensichtlich so dermaßen erschöpft, daß ich
in einen tiefen, traumlosen Schlaf verfalle.


Sonntag morgen. Es ist so
ruhig, als wäre ich nicht auf einem Festival mit zigtausenden von
Besuchern, sondern hätte am Vorabend mein müdes Haupt auf einem
Friedhof gebettet, einen Grabstein als Kopfkissen. Das mag aber eher daran
liegen, daß die Besucher in der letzten Nacht bis in die Puppen gefeiert
haben. Die Soundsystems haben versucht, sich nach Ende des Bühnenprogramms
gegenseitig den Rang abzuspielen und um die Gunst der Zuhörer zu buhlen.
Ein eindeutiger Gewinner dieses Wettbewerbeskönnte nicht so einfach
genannt werden, aber in einer Negativbewertung hat ein Soundsystem aus
Köln die besten Chancen, den Titel “das soundmäßig verschissenste….”
ärgerlich, wenn die Boxen Vibes ausspucken sollen, aber nur Feedbacks
und andere für die Trommelfelle äußerst unangenehme Frequenzen
herauskommen. Daher findet mensch vor dieser Bühne auch kaum Leute.
Wer will schon als zwangsläufige Konsequenz ein versautes Gehör
haben, bei anderen Soundzauberern die satten Bässe den ebenso satten
Magen massieren? Tja, Pech gehabt.

Aber zurück zum Morgen.
Offensichtlich gab es noch genug Orte, wo die Leute abgezappelt haben und
alles, was sie an Energie zur Verfügung hatten, auch geben konnten.
Jedenfalls begegne ich auf meinem Weg zur Morgentoilette im Schwimmbad
vor Ort kaum einem Menschen, höre aber dafür aus dem einen oder
anderen Lager entlang des Weges laute Sägegeräusche. Um so besser,
keine lange Schlange vor den Duschen, die den Schniedel schrumpfen lassen.
Heute morgen ist das Wasser zweieinhalb Zentimeter kalt, läßt
aber dafür meinen Kopf schlagartig klar werden und so freuen sich
die Nervenbahnen um so mehr auf die nächste Dröhnung, die auch
nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.

Gesagt, getan, nach der Dusche
geht es schnurstracks zum Zelt, die nach einer Füllung verlangenden
Magenwände werden ruhiggestellt und dann kommt das erste High des
Tages in Form einer wunderschön konisch geformten Tüte, gefüllt
mit auserlesenen Ganjasorten und geschmacklich abgerundet durch ein paar
Krümel besten Eiermaroks. Der Weg der vom Körper so begehrten
Moleküle vom Brandherd an der Spitze des Drehprodukts zu den Synapsen
im Stammhirn wird relativ schnell zurückgelegt, auf halbem Weg haben
die Lungenbläschen ein paar Probleme, den frühmorgendlichen Angriff
von Rauchpartikeln ohne einen größeren Hustenanfall zu verdauen,
aber in weiser Voraussicht habe ich zum drehen schon “lichte Shag” benutzt,
so daß die Kontraktion der Lungen sich in Grenzen hält.

So gestärkt mache ich
mich auf den Weg zum Festivalprogramm. Der Weg ist angenehm, jedoch wird
der Weg mit zunehmender Nähe zu den Regionen, die von tausenden von
Fußpaaren maltraitiert werden, immer sumpfiger, denn in der Nacht
hat es geschauert und die Stampfer der Menschenmenge haben den Boden so
richtig schön durchmassiert. An der Schleuse geht es heute schnell
voran, denn es sind genug Kanäle geöffnet und die Menge Wartender
hat im Vergleich zu den Vortagen auch erheblich abgenommen. Sogar die Sicherheitsleute
sind recht relaxt, bei dem einen oder Anderen kann man sogar ein Lächeln
auf seinem Gesicht vermuten.

Das Musikprogramm auf der
Hauptbühne beginnt mit einer in Deutschland ansässigen Band.
Geiler Sound, super Ausstrahlung, manchmal frage ich mich, warum immer
die teuren Superstars aus der Karibik eingeflogen werden müssen, wenn
es in der Nähe auch gute Bands gibt. Kostet doch nur Geld, das wir
über die Eintrittspreise bezahlen müssen.

Ich gammele die ersten Stunden
auf der Wiese vor der Bühne rum, leider nicht ganz so bequem, wie
es sein könnte, denn der Rasen ist zu feucht, um sich zu setzen oder
hinzulegen. Ich möchte bei dem Programm auf der großen Bühne
erst einmal verweilen, die angekündigten Musiker versprechen alle
eine sehr relaxte Musik und ich möchte noch ein paar Kraftreserven
auffüllen, um das krasse Kontrastprogramm im Zelt am Nachmittag überstehen
zu können. Dort werden sich einige Skagrößen präsentieren
und von dem Sound würde es mir schwerfallen zu behaupten, daß
er relaxend auf mich wirkt. Eher schweißtreibend, denn wer es schafft,
bei solch einem Beat ruhig stehenzubleiben, der sollte sich vielleicht
doch einmal von einem Arzt unter die Lupe nehmen lassen.

Dementsprechend tropisch
ist das Klima, als ich am späten Nachmittag das Zelt betrete, um zur
Abwechslung einmal doppelt so schnell zu skanken, wie auf den Rootssound
der letzten zwei Tage. Einige ganz cool gekleidete Leute sind im Publikum,
so wie sich das bei Ska gehört mit ihren heißen Bräuten
und den coolen Hüten. Allerdings sind die Klamotten und ihre Bersitzer
offensichtlich nicht cool genug, um ihre Körpertemperaturen herunterzuschrauben,
überall Schweißflecken und Salzringe auf den sündhaft teuren
Kleidungsstücken und dazu der leicht penetrante Geruch von Buttersäure
in der Athmosphäre. Aber sie skanken weiter, die Schweißtropfen
spritzen, die Mädelsquitschen, die Jungs gröhlen und tanzen den
Pogo, als hätten sie ihr Leben lang nix anderes getan. Superstimmung,
aber anstrengend! Kurz bevor die zum Schneiden dicke Luft in ihrer Dichte
soweit zunimmt, daß sie nicht mehr atembar ist und die Gefahr besteht,
von ihr erschlagen zu werden, gebe ich auf und mache mich langsam, aber
sicher auf gen Zelt, denn die Packerei ist noch viel, der Heimweg ist noch
weit und die Füße sind jetzt schon schwer.

Vor dem Zelt bemerke ich,
daß es zwischenzeitlich noch einmal leicht geregnet hat, denn der
Müll der vergangenen zwei Tage befindet sich auf dem Weg, von den
vielen Füßen in den Untergrund gestampft und ein integraler
Teil dessen zu werden. Da wird die nächste Gruppe Menschen, die sich
hier herumtreibt, wahrscheinlich tragen sie orange Uniformen, oder wenigstens
solche Westen mit reflektierenden weißen Streifen, viel Spaß
haben, Müll und Umwelt eindeutig zu trennen. Aber das soll nicht mein
Problem sein, ich bin nämlich Umweltengel und entsorge meine ausgedienten
Produkte höchstpersönlich.

Das Zelt und die Klamotten
sind zusammengepackt, der Müll auch. Wenn ich mir das Lager der vergangenen
achtundvierzig Stunden ansehe, erinnert nur noch der Fleck mit dem plattgedrückten
Gras daran, daß sich hier ein Mensch für eine Zeit niedergelassen
hat. Den letzten Joint, natürlich den letzten des Summer Jams und
nicht im Allgemeinen, im Mundwinkel hocke ich neben dem Haufen meiner Habseligkeiten
und lasse die Zeit noch einmal revuepassieren. Zwei schöne Tage, keine
Frage, jedoch mit etwas besserer Organisationsdurchführung seitens
der Veranstalter hätte dieser Kurzurlaub am Fühlinger See noch
viel angenehmer sein können. Die Viehtriebpferche müssen weg,
anderes Sicherheitspersonal muß her und die Veranstalter sollten
sehen, daß ein einmal angekündigtes Programm auch durchgezogen
wird oder daß es für herausfallende Bands einen adequaten Ersatz
gibt. Ansonsten vermute ich, wird sich der Zuschauer, gerade auch aufgrund
der R.A.D.-Cowboys und der Pferche fühlen, wie Melkvieh, das zum Abpumpen
auf die grüne Wiese getrieben wird. Gibt die Kuh keine Milch mehr,
dann folgt der Metzger. Und kein Mensch läßt sich gerne in solch
einer Art behandeln. Bis zum nächsten Summerjam, im vierzehnten Jahr
wird alles besser.


Copyright:  Dr.
Igüz 1998 – 2001
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